Kuratorin KATRIN BUCHER hat Medienkünstler PETER KOGLER in seinem beeindruckenden Atelier mitten in Wien besucht und zu seiner langjährigen Erforschung des sich wandelnden Medienbildes befragt.
KBT: Du hast in den 1980er-Jahren mit dem Computer zu arbeiten begonnen und sehr früh das Serielle für dich und deine Bildsprache entdeckt. Was ist dein Zugang dazu? Und inwieweit haben technische Entwicklungen dabei eine Rolle gespielt?
PK: Was mich Anfang der 1980er-Jahre interessiert hat, war das Medium Film. Darin ist das Serielle, die Serialität enthalten: Wenn man einen Filmstreifen aufrollt, haben wir eine Sequenz von Bildern. Es gibt also schon einen technischen Grund für das Interesse an der Serialität. Und zum Zweiten ist es natürlich eine Konstante in der Nachkriegskunst des 20. Jahrhunderts, vor allem in der Amerikanischen. Die Serialität war bestimmend für Pop – wenn wir etwa an Reproduktionen oder Editionen und deren technische Reproduktionsmöglichkeiten denken –, aber natürlich auch für Minimal
Art, wo etwa in der Skulptur die Wiederholung eine zentrale Rolle spielt. Auch da geht es um den Produktionsvorgang, die Herstellung von vielen identen Einheiten.
KBT: Du hast Vokabularien von Formen und daraus ganze Welten geschaffen, in die das Publikum eintauchen kann. Serien, Installationen, die man etwa in den Architekturen, die du seit den späten 1990er-Jahren mit deinem Formenvokabular überziehst, betreten kann. Tatsächlich empfindet man dies wie ein Eintauchen in Filmwelten. Immer wieder scheint dabei die Überwältigung eine Rolle zu spielen, die an Überforderung grenzt, die wir heute mitunter dem ganzen Medienzeitalter nachsagen. Inwiefern spiegeln deine Arbeiten diese Überforderung?
PK: Tatsächlich interessiert mich die Menge an Bildinformation und wie wir sie verarbeiten sehr. Wir beobachten, wie die tägliche Bilderflut in den letzten Jahrzehnten massiv zugenommen hat. Und wie die Verschiebung der eintreffenden Bildinformation vom Computer auf das Smartphone den Menschen ganz neu fordert. Das permanente Verarbeiten-Müssen und die Abgabe von Information hat sich zugespitzt. Es wird interessant sein, ob diese Zuspitzung in den kommenden Jahren zu einer Art Kollaps führt.
KBT: Ja, wenn nicht Überforderung, dann auf jeden Fall eine massive Forderung. Deine Arbeiten sind niemals anklagend, ganz im Gegenteil. In deinen Arbeiten hat das Überfordern in der schier endlosen Wiederholung des Bildes, des Bildbandes, manchmal durchaus euphorischen Charakter. Schön zu sehen im Swimmingpool, den du für deine französischen Galeristen gestaltet hast.
PK: Naja, ein Swimmingpool in Südfrankreich ist natürlich ein Sonderfall … (lacht). In den Ausstellungen, die ich mache, würde ich von einer betonten Ambivalenz sprechen. Als ich in den 1980er-Jahren zu arbeiten begonnen habe, gab es tatsächlich eine Art Aufbruchstimmung. Die digitale Bildbearbeitung ließ enorme Möglichkeiten erahnen. Mit dem Aufkommen des Internets war in den ersten Jahren auch eine
große Euphorie verbunden. Man dachte, das ist jetzt tatsächlich die Demokratisierung des Wissens, also „Information für alle“. 25 Jahre später haben wir natürlich ein ganz anderes Bild von diesen Erfindungen im digitalen Zeitalter.
KBT: Du hast auch Gänge gemacht, die so etwas wie einen „Sog der Bilder“ fühlbar machten.
PK: Ja, Gänge, Korridore, Labyrinthe, das sind alles Begriffe, die man sehr leicht mit der Informationskultur verbindet. Schon in diesen Begriffen gibt es eine Spannung zwischen Euphorie und Angst.
KBT: Welche technische Entwicklung hat deine Arbeit ganz konkret am meisten beeinflusst?
PK: Viele Jahre lang habe ich ein reduziertes visuelles Vokabular zitiert: Bildmotive wie die Ameise, die Röhre oder das Motiv des Gehirns oder des Globus. Motive, die einen sehr universellen Charakter haben und an keine spezifische Kultur gebunden sind. Es gab dann tatsächlich einen Moment, wo ich begonnen habe, das zu öffnen. Ich begann, Zeitungsauschnitte etc. zu sammeln, eine Art erweitertes Bildarchiv zu bauen, also alles zu sammeln, was mir irgendwie visuell und inhaltlich attraktiv erscheint. Daraus sind die Magnettafeln entstanden, wo ich alles gefiltert und wieder zu Bildern und Montagen zusammengetragen habe. Dabei habe ich assoziativ zueinander montiert. Es geht dabei also um das Filtern, bei dem das Zusammentragen von Bildmaterial und das Zusammenbringen Bedeutung entstehen lässt.
KBT: In einem anderen Gespräch haben wir hierzu mal gesagt, diese Montagen sind so etwas wie „sich selbst beim Denken zusehen“. Sind es Zeitaufnahmen des Denkens, das sich aus den vorhandenen Informationen speist?
PK: Ja, das hat auf jeden Fall etwas mit der visuellen Gegenwart zu tun und reicht bis in die jeweiligen Kindheitserinnerungen hinein. Die Methode der Montage folgt bei mir keinen klaren Spielregeln. Es ist vielmehr ein Versuch, über den Prozess der Montage zu eruieren, wie man entscheidet, wie man filtert. Darin stellt sich etwa die Frage: Was taucht vermehrt auf, was fällt raus? Es sind Momente der Selbstbeobachtung.
KBT: In Faking the Real geht es mir auch darum, zu eruieren, wie Bilder und Bildzusammenstellungen, Bildalterierungen uns leiten. Was ist für dich persönlich ein Fake?
PK: Die Frage könnte man genauso vom Gegenteil her stellen: Spielt der Begriff der Wahrheit für meine Arbeit eine Rolle? Da bin ich mir nicht sicher …
KBT: Es ist allerdings nicht die Wahrheit, sondern die Realität.
PK: In diesen Begriffen müssen wir immer über den Kontext sprechen – mich interessiert vielleicht eher „das Bild im Verhältnis zu …“.
KBT: Woran denkst du beim Titel Faking the Real?
PK: Es ist eigenartig, ich denke wohl an nichts. Denn es ist nicht definiert, worauf sich das Real bezieht. Hast du eine klare Assoziation?
KBT: Faking the Real ist für mich ein Zirkelschluss, der viel mit unserer Gegenwart der Unsicherheit des Informationszeitalters zu tun hat.
PK: Wo das eine das andere bedingt …
KBT: Ja, und weil wir alle wissen, dass es verschiedene Kontexte gibt, verschiedene Realitäten, viele Möglichkeiten, sich zu informieren, ist alles unklar. Die Unsicherheit nach Jahrzehnten der relativistischen Dekonstruktion, die dazu führt, dass das bewusste „Faken“ geradezu zur Bestätigung von Realität zu werden scheint. Und hier kann in der Kunst eine Entwicklung beobachtet werden, die die Lust am Fake, an der Appropriation, der Optimierung und Re-Kontextualisierung längst vorwegnimmt. Eine Entwicklung, an der sie vielleicht sogar wesentlichen Anteil hat. Bei Zobernigs Real-Serie sehen wir etwa, wie die Frage der Realität in vielen Ebenen gestellt und behauptet wird.
PK: Ein Bild, ein Text, ein Zitat, …
KBT: Genau, oder fast eine Kopie nach Robert Indiana, mehrfach sich selbst zitierend und dabei doch ein Original – einiges in Bezug auf die Bezugssysteme und Übereinkünfte handelt Zobernig darin ab. In der Kunst gibt es das Fake in vielen Ebenen. Es gibt das klassische Fake, das vorgibt, etwas anderes zu sein, also etwa andere Absender vortäuscht. Hier würde ich neben Zobernig vielleicht aus der Ausstellung gern das Zentrum für Politische Schönheit zitieren, das vorgibt, das staatliche Militär zu sein, und dazu aufruft, Waffen bei ihnen abzugeben. Dann gibt es Arbeiten, die das Fake selbst darstellen, wie etwa bei ORLAN, die ihren Körper so „bildhauerisch“ gestaltet, dass sie zum Fake ihrer selbst und der gesammelten Schönheitsideale der Kunstgeschichte wird. In der Kunst stellt man die Frage der Übereinkunft schon lange.
PK: In der Kunst ist man sehr gebunden, in einer relativistischen Weise mit Begriffen und Zuschreibungen umzugehen. Schon Duchamps Readymade hat die Frage der Definition eröffnet und dabei auch die Frage des Konsenses in Bezug auf relative Realitäten gestellt.
KBT: In den letzten Jahren haben wir einen steigenden Hass auf Andersdenkende beobachtet. Wir haben gesehen, dass die Nicht-Übereinkunft von Informationen zum allgemeinen Alarmzustand und damit zum gesellschaftlichen Problem werden kann. Wobei die Macht der Algorithmen – anders als deine Bilder – nicht auf Bedeutung aus ist, sondern auf Aufmerksamkeit und Gewinn. Ob wir also aus dem Sog der Bilder noch herauskommen?
PK: Hier geht’s auch um Begriffe wie Alternative Wahrheit, Fake News, die im Alarmzustand, den du beschreibst, mitschwingen. Ich glaube, man ist noch bereit zu akzeptieren, dass es verschiedene Lager von Meinungen gibt. Wenn aber wissenschaftliche Fakten, also überprüfbarer Konsens, breit infrage gestellt wird, wird es in viel höherem Maße verunsichernd.
KBT: Denn dann stellen sich demokratische Systeme infrage …
PK: Zurück zur Kunst: Das Problematisieren der Originalität, der Aspekt der Innovation war bis in die 80er-Jahre ein Argument für die Wirkkraft der Kunst. Heute fragt man nicht mehr, wer etwas erfunden hat, sondern nur noch: Was sieht gut aus? Was ist gut handhabbar? Und was bekommt am meisten Aufmerksamkeit? Schon diese Frage macht das Fake oder die Lüge zum exemplarisch erfolgreichen Bild, wie wir aus Statistiken wissen. 0,2 Sekunden Aufmerksamkeit generiert ein Bild – Warhols „15 Minutes of Fame“ waren damit weit untertrieben und dennoch visionär!