Bernhard Balkenhol (BB) / Maren Plentz (MP)
MP: Ihre Arbeit auf der documenta X war ja eine der bekanntesten und wohl auch diejenige, die am meisten reproduziert wurde. Man könnte sie fast als ein zweites Logo dieser documenta bezeichnen. Können Sie uns erzählen, wer eigentlich die documenta-Halle als Raum für ihre Arbeit ausgesucht hat? Wurde sie Ihnen gleich vorgeschlagen? Oder haben Sie sich diesen Raum selber ausgesucht?
Peter Kogler: Der Vorschlag kam von Catherine. Ich bin nach Kassel gefahren, und wir haben uns dann die Halle noch einmal gemeinsam angeschaut. Der ursprüngliche Vorschlag von Catherine war, für die Arbeit die Wandfläche in der documenta-Halle zu verwenden. Ich habe dann gemeint, daß es vielleicht sinnvoll wäre, die Decke dazu zunehmen.
MP: Aber da gab es den Entwurf schon?
Peter Kogler: Nein.
BB: Den gab es noch nicht?
Peter Kogler: Catherine kannte ja meine bisherigen Arbeiten.
MP: Haben sie da verschiedene Entwürfe eingereicht oder…?
Peter Kogler: Es war dann doch relativ klar, für welche Struktur ich mich entscheiden werde, weil das auch mit den spezifischen räumlichen Gegebenheiten zu tun hat. Das ist doch ein sehr komplexes Gebäude, es gibt viele Überschneidungen, es gibt viele architektonische Details, es gibt die große Glaswand, d.h., man muß sich für eine Struktur entscheiden, die die räumlichen Gegebenheiten berücksichtigt, sowohl vom Aufbau der Module als auch vom Maßstab der Elemente her.
MP.: Sie haben gerade schon ein wichtiges Stichwort gegeben, nämlich das der Module. Können Sie uns noch einmal die Struktur dieser Arbeit beschreiben, also von der Komposition bis zur praktischen Durchführung?
Peter Kogler: Also von Komposition kann man eigentlich kaum sprechen, weil das so eine All-over-Struktur ist, d.h. es ist ein wenig wie eine gleichmäßige statistische Streuung. Es gibt in dem Sinne nicht Zentren, die man als Komposition bezeichnen könnte. Zum anderen, die tatsächliche Arbeit, das sind Papierbögen, die im Siebdruck bedruckt sind. Die Grundelemente, aus denen diese Arbeit zusammengesetzt ist, sind mit dem Computer konstruiert. Ich glaube es waren so um die dreißig Einzelelemente, Röhren mit verschiedenen Durchmessern und verschiedenen Radien, die aber miteinanderkombinierbar waren. Der Raum wurde gerastert, es sind die ganzen Flächen in Planquadrate eingeteilt worden. Und bevor wir zu kleben begonnen haben, habe ich Pläne angefertigt, welches Element an welcher Stelle appliziert wird. Die ganze Arbeit hat davor in Form von Plänen in kleinem Maßstab existiert. Es hat auch ein Modell davon gegeben.
BB: Hat Sie das nicht gereizt, mit diesen Modulen einfach so drauf los zu kleben?
Peter Kogler: Ja, ich habe Installationen gemacht, in der Wiener Secession, wo das sozusagen vor Ort improvisiert worden ist. Allerdings ist die Secession ein Raum, wo man sich in die Mitte stellen kann und dann alles überblickt. Das geht in der documenta-Halle nicht. Der Raum ist 80 m lang, und man ist doch gezwungen, ständig auf und ab zu laufen. Das waren, glaube ich, schlußendlich 18 Leute, die in den Aufbau involviert waren. Man würde das konditionsmäßig nur schwer durchstehen, wen man das improvisieren muß, also zumindest ich nicht, weil ich körperlich nicht…
BB: Aber das verliert dann natürlich den Charakter des Spiels mit diesen Modulen und verschiedenen Röhren, weil es dann ja eine ganz durchgeplante, strategisch ausgeführte Arbeit ist.
Peter Kogler: Da bin ich mir nicht so sicher, weil die Struktur als solche suggeriert ja nicht Planung. Denn wenn Sie in dem Raum standen, glaube ich nicht, daß Sie irgendwie eine bestimmte Systematik hätten finden können, oder?
BB: Ja, es sah wirklich wild durcheinander aus.
Peter Kogler: Es ist der Eindruck entstanden, daß es sehr unmittelbar und chaotisch ist. Die Planung war nicht aus der Überlegung einer Komposition notwendig, sondern einfach pragmatisch, um das in dieser Größe überhaupt realisieren zu können. Ob das eine Rohr jetzt nach links abbiegt oder nach rechts abbiegt, das ist ziemlich austauschbar. Es geht tatsächlich um so etwas wie einen Gesamteindruck, was man vielleicht mit statistischer Verteilung umreißen könnte.
MP: Sie arbeiten ja schon seit Mitte der 80er Jahre mit dem Computer. Wie würden Sie die Rolle oder die Bedeutung des Computers in der heutigen Kunst beschreiben?
Peter Kogler: Ich habe mit dem Computer zu arbeiten begonnen, als die ersten billigen Systeme auf den Markt gekommen sind, das war etwa 1984, das war so der Beginn der PCs, die ersten Computer, die einigermaßen billig waren und auch sehr leicht in der Bedienung, Maschinen, die also keine Programmiersprache voraussetzten, die sozusagen für jeden benutzbar waren. Ich würde das gar nicht mal auf die Kunst hin einengen, sondern das Merkwürdige am Computer ist ja, daß er eine Maschine ist, die in jeden Lebensbereich eingesickert ist, ganz gleichgültig, ob es jetzt um Zollfahndung geht oder Layout oder Sound, also einfach nicht ausschließlich einem bestimmten Zweck zugeordnet werden kann. Und das ist schon etwas Revolutionäres, daß es eine Erfindung gibt, die in alle Lebensbereiche vordringt. Das berührt natürlich auch die Kunst. Es ist ja faktisch alles, was uns jetzt als visuelle Information erreicht, in irgendeiner Form durch den Computer gefiltert, jeder Werbespot im Fernsehen, jedes Journal, jede Tageszeitung, die man aufschlägt, das sind Informationen, die in irgendeiner Art einmal digital waren.
BB: Also die Malerei aufzulösen in Module und mit denen zu rechnen, ist das dann noch Malerei?
Peter Kogler: Na ja, ich denke, wenn man die Malerei über den Pinsel definiert, dann nicht. Wenn man
die Malerei als Geschichte oder als Konvention sieht, dann sehr wohl, weil ja das Vokabular, das für uns verfügbar ist, über eine bestimmte Entwicklung entstanden ist, d.h., bestimmte formale Entscheidungen, die wir jetzt treffen können, sind wahrscheinlich Ohne Pop oder ohne Pollock nicht denkbar. Es gibt also eine Vorgeschichte, was das Vokabular betrifft. Insofern sehe ich meine Arbeit auch in diesem Zusammenhang. Ich glaube, daß die Arbeit in gewisser Weise mehrfach kodiert ist, es gibt verschiedenste Ebenen, um einen Zugang zu finden.
BB: Da gab es ja einen sehr eindeutigen Zugang zu Ihrer Arbeit – so wurde sie auch am meisten gelesen -,der für einige auch gleichzeitig ein bißchen als Vorwurf gemeint war: Die Arbeit sei sehr dekorativ, sie sei in Ornament für die Architektur, sie sei geeignet eher als Foyergestaltung für eine Disco, ein Tapetenmuster usw. Haben Sie das eigentlich als einen Vorwurf verstanden, oder können Sie mit den Begriffen des Ornaments, des Musters oder des Dekorativen …
Peter Kogler: Also, ich habe ja ein neutrales Verhältnis zu Interpretationen. Mir scheint jede Form von Interpretation legitim.
BB: Schön.
Peter Kogler: Man müßte ja schon einmal im Detail verifizieren, inwieweit sich die Architektur dieser Wandstruktur unterordnet oder umgekehrt. Das müßte man mal anhand der Fotos verifizieren, was die Präsenz behält. Und Dekor ist natürlich auch ein relativer Begriff. Wenn man sich in den Räumen länger aufhält, merkt man, daß es sich doch auch um gewisse emotionale Kräfte handeln kann, die sich da entwickeln. Also es sind Räume, in denen man wahrscheinlich nicht wohnen würde. Das relativiert den Begriff des Dekorativen vielleicht etwas. Eine Interpretation war immer so der Hinweis auf Internet, Globalisierung und Vernetzung. Dazu kann ich sagen, anders interpretieren könnte. Aber das ist sehr allgemein. Ich denke, das ist auch ähnlich wie bei der Interpretation der Arbeit auf der documenta 9, die als Folterkammer oder Horror-Vision zu der Arbeit von Bruce Nauman gelesen wurde. Die Bedeutung der Arbeit ist immer abhängig vom Umfeld und vom Zeitpunkt, an dem sie auftaucht.
MP: Und diesmal war das auch die räumliche Nähe und Verbindung in der documenta-Halle zu den Internet-Arbeiten. Allen dadurch war ja vielleicht auch schon diese Interpretationsrichtung ein bißchen vorgegeben.
Peter Kogler: Manche Interpretationen machen mehr Sinn wie andere. Das muß ich auch sagen, dadurch, daß meine Arbeit tatsächlich mit diesen Medien erstellt ist, liegt der Schluß nahe, sie damit in Verbindung zu bringen.
BB: Das Spezifikum des Ornaments oder des Musters ist ja auch, daß sie möglichst wenig inhaltliche Aussagen und Bedeutungen transportieren. Ich würde es ja nicht aushalten in meinem Zimmer, wen es voller “Inhalte“ tapeziert ist, dann müßte ich mich dort ständig mit der Tapete beschäftigen, statt meine eigenen Dinge zu verfolgen. Deshalb nimmt sich ja ein Dekor oder Muster sehr stark zurück…
Peter Kogler:… aber die Interpretation mit dem Internet ist ja eine inhaltliche.
BB: Ja, in Ihrer Arbeit gibt es diese Eigenschaften offenbar gleichzeitig, ein Changieren, eine Arbeit, die leicht lesbar ist und sich als Tapete auf die Architektur bezieht und gerade dadurch, wie sie das tut, inhaltliche Interpretation provoziert.
Peter Kogler: Das hängt davon ab, wie man seine Arbeit anlegt. Es gibt Künstler beispielsweise, die sehr viel Information zu ihrer Arbeit geben, um die Interpretation zu steuern. Ich versuche umgekehrt vorzugehen. Ich versuche die Elemente, die die Arbeit schwer lesbar machen, weitgehend zu eliminieren. Was natürlich bedeutet, daß es verschiedene Zugänge gibt, d.h., ein Kind hat natürlich einen anderen Zugang als ein Soziologe, ein Informatiker oder ein Kunsthistoriker. Also die Interpretation “Internet” ist natürlich genauso legitim, als wenn man es in Zusammenhang bringt mit Leger oder mit Pollock.
MP.: Vielleicht ist ja aber auch diese Offenheit ausschlaggebender Punk dafür, daß Ihre Arbeit so berühmt oder bekannt und verbreitet wurde auf dieser documenta. Sie hatten ja vorhin schon einmal den Aspekt des Wohnens angesprochen, und deshalb jetzt noch eine Frage: Wie sieht eigentlich Peter Koglers Tapete in seiner Wohnung aus?
Peter Kogler: Ich habe keine Tapeten zu Hause, nur weiße Wände.
MP.: Das habe ich mir schon gedacht.
Peter Kogler: Ich habe in meiner Wohnung auch keine Kunst von mir hängen, nur einiges von Freunden.