Ein Piranesi der Gegenwart

Der 1959 in Innsbruck geborene Künstler Peter Kogler wurde immer wieder als Computerkünstler bezeichnet. Dieser Ausdruck ist jedoch irreführend, denn, wie er selbst meint, Computer seien nur die Geräte, beziehungswelse das Material, das er benütze und das auch mit Einschränkung, denn das vom Computer generierte Bild wird photographisch vergrößert und per Siebdruck auf das Papier übertragen, welches in zusammengesetzter Form die tapetenartigen Formationen bildet, die wir kennen. Annelle Pohlen, die derzelt eine Überblicksausstellung des Künstlers vorbereitet, hat die Intentionen zusammengefasst und spricht davon, dass Peter Kogler durch die Verknüpfung computergesteuerter Bilder und deren Übertragung auf Wände, Vorhänge oder auch klassische Träger wie Leinwände mit gesellschaftlich relevanten “Motiven” (Röhren, menschlichen Hirnen, Organen etz, )sich mit existentiellen Fragen in einem technologischen Zeitalter auseinandersetzt.

Kogler war also nie an der Selbstdarstellung des Mediums alleine interessiert, wenngleich für die Reflexion seiner Arbeit die Produktion des Bildes mit Hilfe eines Computers und dessen besondere, bilderzeugende Eigenarten mitreflektiert werden müssen. Was Kogler interessiert ist eine nach Pop und Minimalart liegende Ästhetik. In der eine durch Permutation mitgeteilte Zeichenstruktur im Mittelpunkt steht. Pop ist auch das Stichwort fur ihn, wenn er von der wesentlichen Bewegung der sechziger Jahre, in denen er aufwuchs, spricht. Dabei spielt das Werk Warhols eine wichtige Rolle. Mit Warhol verbindet den Künstler das Interesse an der Multiplikation bereits reproduzierter, gerasteter Bilder, das bei ihm, Warhol, jedoch Ikone unserer Zivilisationsgesellschaft ist, weniger schnell erfassbares, aus wenigen Teilen bestehendes Zeichen. Freilich auch Kogler gehört einer Generation an, die in einer medial vermittelten Welt groß geworden ist, wo sich das Bild der Welt, das Zeichen für Gegenstände, vor dieselbe stellt. Zum anderen interessiert ihn das serielle Prinzip der Minimalart, sodaß wenn man so will, bestimmte Phänomene der Popart nicht zuletzt auch die frühen „wall papers“ – die Tapeten und die Prinzipien der Minimalart, die Reihung identischer Elemente am Anfang seiner Arbeit standen.

Als dritte Quelle der Anregung könnte die Konzeptkunst mit Ihrer Untersuchung der Sprache der Zeichen selbst gelten. Es ist interessant den Weg zu verfolgen, denKogler gegangen ist. Dabei spielt auch die Wahl der Zeichen, also die semantische Dimension seiner Kunst, die bislang wenig untersucht wurde, eine wesentliche Rolle.Nimmt man eine Arbeit von 1983, in der menschliche Figuren zu Schattenbildern gerinnen,(schnell erfassbare Gestaltzeichen) und vergleicht sie etwa mit den Ameisen, Hirnen oder Wirbelsäulen jüngster Produktionen, so wird deutlich, daß am Anfang der Zeichnung noch ein erzählerischer Charakter zu eigen warIn der Durchdringung von Haus-und Gesichtsformen ging es ihm um Konstruktion von Zechen aus wenigen Elementen, wobei, vom Thema des Gesichtes einmal abgesehen, das Interesse für Verdoppelungs – und Symmetriemomente einerseits wie auch das Verbinden zwei-und dreidimensionaler Phänomene ihn interessierte, Markus Brüderlin bemerkt zu Recht anläßlich einer Ausstellung in Gent: “Kogler kombiniert die Flüchtigkeit des Zeichens auch in Anlehnung an strukturelle Eigenschaften der modernen Kommunikationstechnik mit der assoziativen Trägheit von Architekturkörpern.” Dieses Interesse an dem Phänomen der Integration ist nach wie vor unvermindert vorhanden.

Räumliche Erfahrungen waren in den frühen Kartonplastiken wesentlich. Sie spielen aber auch in all den Räumen, die Kogler In den letzten Jahren geschaffen hat, am überzeugendsten in seiner Piranesiversion des Röhrenlabyrinths der Sezession aber auch in der Wirbelsäulen Tapete für die Ausstellung “körpernah” eine zentrale Rolle, Vom Architekturmodell aus Karton ist Kogler über die schachtelartigen, mit Zechen überzogenen Körper,die der Galeriewand vorgesetzt wurden, zu realen Bauten etwa im Eingangsbereich der Documenta bis hin zu den Labyrinthen der Galerie Krinzinger (1992) oder der Sezession (1995) gelangt. Diese Arbeiten operieren mit der Raumerfahrung des Betrachters, seiner eigenen Laufrichtung und den sich im Zeichenwald vollziehenden Bewegung. 

Kogler hat die eher anekdotischen, der jeweiligen Zelt und ihrer Unterhaltungskultur verpflichteten Ikonen „Alf“, “Max” oder den “terminator” hinter sich gelassen, auch einen malerischen “digitalen Expressionismus” (Draxler) der aus der spielerischen Verzerrung ästhetisches Kapital schlug und ist zu elementaren Zechen gelangt, die trotz ihrer dekorativ wirkenden Multiplikation in ihrer inhaltlichen Stringenz nicht aufgelöst werden. Die Bewegung der Ameisen, die labyrinthische Struktur der Gehirnwindungen, die den Raum durchquerenden bedrohlichen Röhrenformationen oder die aneinandergehängten Wirbelsäulen sind nicht neutrale, austauschbare Zeichen, sondern sind sehr wohl elementare Zechen, mit denen wir bestimmte Bedeutungen verbinden. Die Räume/die Kogler verwandelt und zu Erlebnisräumen des Betrachters macht, sind Orte der Erfahrung, physische und psychische.

Erfahrung ist in gleicher Weise am Erlebnis beteiligt. Die Zeichen sind gesellschaftlich relevant, werden jedoch nicht einfach vorgeführt, sondern der Betrachter wird in der Raumerfahrung mit ihnen konfrontiert. Ein großer Versicherungskonzern lehnte eine von mir empfohlene Raumlösung mit Ameisen ab, denn wer, so meinte der Vorsitzende, wolle denn eine Ameise sein oder damit nur verglichen werden. 

Peter Weiermair

Bonner Kunstverein / Herbst 1996