Ein Gespräch: Peter Kogler und Katrin Bucher Trantow

23.4.2019 KB Katrin Bucher Trantow PK Peter Kogler

KB: Als ich vor zwei Jahren zu deiner Einzelausstellung ins Ing Art Center nach Brüssel gefahren bin, sah ich am Weg die Ausstellung von Fernand Léger im Museum Ludwig in Köln. Eine wunderbare Ausstellung, in der sein Schaffen als Maler, Designer und Architekt und seine Zusammenarbeit mit so vielen anderen Kunstschaffenden, Literaten und Denkern seiner Epoche wie Le Corbusier, Man Ray oder Ezra Pound sicht- und spürbar wurde. Im ersten Raum war ganz prominent sein und Dudley Murphys Film Ballet mécanique installiert. In dem Moment fiel mir auf, dass dieser Film und auch das interdisziplinäre Schaffen Légers als Ausgangspunkt einer neuen Perspektive auf deine Beschäftigung mit dem Bild fruchtbar sein könnte. Innerhalb einer Geschichte der Auseinandersetzung mit der Kommunikationsmacht des abstrahierten Bildes schien sich mir gerade Légers Film, aber auch sein ganzes Werk wie eine Linse für ein vertieftes Verständnis deines breiten Werks anzubieten. Ich habe dich damals fast atemlos gefragt, ob es dich interessieren würde, eine Ausstellung für das Kunsthaus Graz in Hinblick auf die Geschichte der Avantgarde zu denken. Du hast sofort begeistert reagiert und seither hat sich aus dem einen Film als Ausgangspunkt eine gesamte Ausstellung entwickelt, die zu einer Art Kogler’schen Montage im Kunstraum wurde. Rückblickend nun noch einmal die Frage an dich, was dich an der Idee begeistert hat? Und wer ist Fernand Léger für dich? Gibt es einen direkten Bezug in seinem Schaffen und Denken?

PK: Ich habe Léger immer geschätzt. Wenn man jetzt auf die frühe Moderne schaut blickt und sich zum Beispiel die Zeit um 1915 genauer anschaut, gibt es in Paris auf jeden Fall drei zentrale Maler: Picasso, Braque und eben auch Léger. Die frühen kubistischen Bilder von Léger sind erstaunlich radikal. Es ist einerseits die Rolle von Léger in der Frühmoderne, aber dann auch Abzweigungen in Richtungen, die man nicht vermutet hätte. Léger ist meiner Meinung nach auch eine wichtige Figur in der Entwicklung von Pop in den 60er Jahren, gerade weil er ein visuelles Vokabular entwickelte, das in hohem Maß signifikant ist. Es hat einen hohen Wiedererkennungswert. Mir ist zum Beispiel immer wieder aufgefallen, dass, wenn in einem Museum ein Léger an der Wand hängt und rechts und links davon ein großartiges Bild eines anderen Malers, immer der Léger visuell heraussticht. Seine Kompositionen ziehen in einem hohen Maß Aufmerksamkeit auf sich. Diese Signifikanz war immer ein Aspekt, der mich an seinen Arbeiten interessiert hat. Und damit sind wir auch schon beim Ballet mécanique, einem der ersten abstrakten Werke der Filmgeschichte, das – und das war vor allem für unsere Situation hier interessant – 1924 das erste Mal in Wien bei Kiesler gezeigt wurde. Das war ein interessanter Anknüpfungspunkt, der auch mit dem Ort hier zu tun hat.

KB: Ja, darauf kommen wir noch. Die Signifikanz der Bildsprache ist sicherlich eine von Légers herausragenden Eigenschaften, die sich in deinen Bildfindungen durchaus vergleichbar finden lässt. Oft sind es Muster, einzelne Fragmente, Kontraste, die das Signifikante ausmachen. In Légers Ballet mécanique bestechen zitathafte Bildformeln, die er in eine Repetition setzt und die in einem geradezu musikalischen Rhythmus aus Licht und Schatten eine große Wirkmacht entfalten. Virtuos nutzt er dabei die filmische Möglichkeit von Bildrepetition und getaktetem Bildrhythmus – vorgegeben durch die Abfolge der damals üblichen 22 Bilder in der Sekunde. Das Konzept der rhythmischen Wiederholung liegt selbstverständlich auch im Anfang des Jahrhunderts und einer stetig wachsenden Mechanisierung die allerorts zitiert, befragt und aufgenommen wird. Denken wir nur etwa an die Futuristen in Italien oder an Duchamps kubistisches Werk Nude descending a staircase von 1912, das, einer Filmkamera gleich, Bewegung in Einzelbilder aufspaltet und damit den Faktor Zeit in das Bild bringt. Im Ballet mécanique findet sich aber etwas außergewöhnlich Verbindendes mit deinen Arbeiten: Muster tauchen auf, wiederholen sich und – was besonders wesentlich auch in Hinblick auf deine Arbeiten zu sein scheint – ziehen auf unterschiedlichen Ebenen den Menschen an und in den Bildraum hinein. Du hast mir einmal erzählt, dass es dir immer wieder darum geht, das Bild zu finden, „das geht“. Was genau ist das?

PK: Man kann verschiedene Beweggründe haben, warum man sich für die Signifikanz des Bildes interessiert. Ich habe in den frühen 1980er Jahren mit Computern zu arbeiten begonnen. Ab 1984 kamen die ersten Systeme auf, die man über Piktogramme steuern konnte, also über kleine Icons, wie wir sie heute ständig nutzen. Damals war es also plötzlich nicht mehr notwendig, Text einzutippen, sondern man hantierte mit Farbeimer, Radiergummi, Pinsel oder Schere. Mit einem Mal konnte man die Programme schnell und sehr intuitiv nutzen. Das war ein großer Umbruch in der Kommunikationstechnologie. Wir spüren das auch jetzt: Alles, was über Smartphones abrufbar ist, geht natürlich auf diese einfache Bildersprache zurück, auch die ganzen Emojis. Und auch hier liegen die Wurzeln dafür wiederum unter anderem in Wien: Von Otto Neurath wurde in den 1930er Jahren die Isotypie, ein System der Bildstatistik für die Bildung der breiten Bevölkerung entwickelt, was in der Folge zur Blaupause für alle Piktogramme und Orientierungssysteme wurde, die wir jetzt überall an Flugplätzen, Bahnhöfen und in Städten finden. Der durchschlagende Erfolg war ein Aspekt, der mich an dieser einfachen signifikanten Bildsprache immer sehr interessiert hat. Auch bei Léger gibt es fast zeitgleich ein bestimmtes Vokabular an Bildformen, die immer wieder auftauchen und direkt den Betrachter ansprechen. Ganz speziell meine ich damit die Röhrenstruktur, die ich als einen der Grundbausteine der Moderne sehe. Beginnend mit Cézanne und mit dem Kubismus und über den ganzen Konstruktivismus taucht das Bildelement mehrfach auf. Bei Léger wird es zum eigenen Element und so entwickelte sich der durchaus auch etwas belächelte Begriff seiner Malerei als Tubismus.

KB: Die Röhren beim „Tubisten“ – und Kommunisten – Léger stehen aus meiner Perspektive neben ihrer Prägnanz für die breite Notwenigkeit von Informationsflüssen und für eine grundsätzliche Verbundenheit der Menschen. Interessanterweise gibt es ja auch eine direkte Verbindung zwischen Léger und Neurath, und zwar durch ihre gemeinsame Teilnahme an der berühmten CIAM-Konferenz „Die funktionale Stadt“ von Architekten, Städteplanern und Künstlern, die 1933 in Athen stattfand und bei der Neuraths Thesen im Sinne des Themas einer Verbesserung städtischen Lebens durch den Einfluss von funktionaler Gestaltung breit diskutiert wurden.

Das heißt also, du bist rückwärts den Entwicklungsspuren zu Phänomenen des digitalen Alltags – wie eben des Icons und der Idee des Netzwerks – gefolgt und hast deine eigenen abstrahierten und signifikanten Bilder geschaffen. Hier wären etwa die Ameise, das Gehirn oder eben auch der ausgestreckte Finger zu nennen. Entlang dieser Korrespondenzen haben wir neben der Uraufführung des Ballet mécanique in Wien weitere Verbindungen gefunden: 1924 lädt Friedrich Kiesler Fernand Léger zur Internationalen Ausstellung für Theatertechnik in ein Nachkriegswien ein, das von einem Geist des Aufbruchs beherrscht und von einer sozialistischen Politik …

PK: … von erstaunlicher Intellektualität, großer Risikobereitschaft und vernetzendem Denken geprägt war.

KB: Genau: Dieser Friedrich Kiesler, der im Jahr zuvor für die Roboteroper W.U.R. von Karel Čapek in Dessau das Bühnenbild fertigte und dabei den Werkbund kennen und schätzen lernte, lud Künstlerinnen und Künstler mit ihren Werken aus ganz Europa ein. El Lissitzky, Theo und Nelly van Doesburg oder auch der experimentelle Avantgarde-Filmemacher Marcel Herbier, der wiederum mit Léger gearbeitet hatte, wurden präsentiert. Fernand Léger hat seinen ersten eigenen Film – das Ballet mécanique – ebenda, in Kieslers bahnbrechendem, neu entwickeltem Ausstellungsdisplay auf der Raumbühne, uraufgeführt und dort auch einen Vortrag dazu gehalten. Auch Schönberg ist damals auf Kieslers Raumbühne aufgetreten. Es ist faszinierend, dass das alles 6 Jahre nach dem Krieg in Wien passiert. Ein Netzwerk von Künstlerinnen und Künstlern zelebriert für wenige Wochen im September dieses Jahres gemeinsam den Aufbruch in eine neue Zeit, geprägt durch eine richtungsweisende – das Leben mit den Mitteln der Technik – durchdringende Kunst. Eine Kunst, die sich befähigt sieht, eine neue Gesellschaft zu formen. Wie andere auch ist gerade der Sozialist Léger ganz bewusst auf der Suche nach einem neuen Menschen. Dies trifft in Wien auf gemischte Gefühle und die Zeitungen machen sich eher lustig über die Ausstellung, als dass sie Kieslers Effort würdigen. Es scheint, diese Art des Zusammenkommens vieler für die Kunstgeschichte so zentraler Figuren ist so schnell nicht wieder vorgekommen. Légers erste Einzelausstellung in Österreich etwa lässt bis 1968 auf sich warten. Es war eine kurze Blüte für Wien. Einige wie Kiesler, die so vernetzend tätig waren, sind aufgebrochen und in die anderen, sie mehr willkommen heißenden europäischen Zentren gegangen. Kiesler etwa fährt schon 1925 nach Paris, um eine zweite Ausstellung zu neuer Theatertechnik zu organisieren. Schönberg aber ist geblieben. Da gibt es eine Tradition, die weitergelebt hat. Eine klare Linie dieses Aufbruchs von 1924 bis heute lässt sich aber schwer ziehen, oder siehst du das anders?

PK: Nein, ich sehe das genauso. In gewisser Weise sind diese wesentlichen Impulse der frühen Moderne über weite Strecken in der österreichischen Geschichtsschreibung übersehen worden. Lange Zeit herrschte eine enorme Rezeptionsdominanz von Schiele und Klimt, deren Stellung sich heute im Bezug auf die Entwicklung der Moderne durchaus diskutieren lässt. Ich bin der Meinung, einige wesentliche Kunstschaffende sind einfach übersehen worden; Raoul Hausmann ist z. B. als Künstler aus Österreich überhaupt nie rezipiert worden. Oder auch Wolfgang Paalen, ein wichtiger Surrealist, der auswandern musste … es gibt eine ganze Liste von Kunstschaffenden, die übersehen worden sind. Und eben auch eine so wichtige Ausstellung wie die von 1924, die Kiesler auf die Beine gestellt hat. Die Rezeption seines Schaffens hat erst in den 1970er Jahren begonnen. Dafür war insbesondere Oswald Oberhuber eine wichtige Figur.

KB: Trotzdem ziehen wir ja in der Ausstellung keine direkten Bezüge, sondern wir sprechen eher von einem Rahmensystem, das assoziative Bezüge zulässt. Auch in deiner Arbeit gibt es höchstens einen rückwärts gerichteten Konnex. Direkte Bezüge gibt es auch zu Kiesler keine, oder?

PK: Also darauf bezogen hätte ich mich sicher nicht. Aber ich hatte als Teenager das Glück, 1975 eine Ausstellung zu Kiesler in Innsbruck zu sehen, die damals in der Galerie im Taxispalais zu sehen war.[1]

KB: Ja, die Ausstellung ist auch nach Graz gewandert. Und der Katalog von Oberhuber damals hat den bereits schwer auffindbaren Katalog von Kiesler 1924 noch einmal aufgelegt. Wunderbarerweise, denn so hat man erstmals eine Zeit avantgardistischer Internationalität breit aufarbeiten können, die vergessen war.

PK: Für unsere Überlegungen hier kommt heute die interessante Konstellation dazu, dass diese Ausstellung im Gebäude von Peter Cook und Colin Fournier stattfindet, das offensichtliche formale Bezüge zur Architektur von Kiesler aufweist, der als einer der Ersten mit organischen komplexen Raumstrukturen gearbeitet hat.

KB: In seiner Form erinnert das Kunsthaus Graz frappant an Kieslers berühmtes und vielzitiertes Endless House (1947-60). Auf Pilotis stehend, erstreckt sich seine Eiform ohne rigide innere Wände in die Höhe; am Dach haben beide Gebäude unverwechselbare Dachfenster, die sich nasenartig in den Himmel strecken. Außerdem revolutioniert Kiesler unter anderem das Ausstellen per se und thematisiert schon 1924 in seiner Internationalen Ausstellung zur Theatertechnik das individuelle Erleben von Kunst im offenen Ausstellungsraum. Wichtig war ihm – neben dem direkten Bezug zum Publikum –, das Kunstwerk an den Menschen heranzuholen.

PK: Kieslers gebauter Ausstellungsraum in Art of This Century 1942 ist prototypisch,  seine Visionen auch heute noch revolutionär. So nutzt er unter anderem gerundete Wände dazu, um das Kunstwerk aus der Architektur herauswachsen zu lassen und damit nicht mehr isoliert, sondern in einem größeren Zusammenhang zu sehen.

PK: Es ist alles andere als ein White Cube. Es verlangt nach einem Umgang damit …

KB: Ja, obwohl auch der White Cube Bühne ist, aber dieser Raum lädt ein, über die physische Form und das Betrachten nachzudenken … Man denkt immer über den Raum nach, als Bühne und auch als betretbarer Raum, in dem das Publikum eine Rolle bekommt.

KB: Auch in unserem Fall sehe ich die Ausstellung als „Werk“. Sie trägt auf jeden Fall auch deine Signatur, die sich innerhalb des Konzepts ablesen lässt und die Ausstellung als eine Montage im Raum definiert. Eine Montage, wie du sie seit Jahren als Bildcollage aus Einzelbildern zusammenstellst. Auch dabei gibt es eine Brücke zum Ballet mécanique, das ebenso eine Montage ist: Zusammengestellt aus einzelnen Sequenzen, Bildern und sogar bis 14 Tage vor der ersten Aufführung gesammelten Pressebildern. So lässt sich das Zeitungsbild eines gestohlenen Perlencolliers ganz genau auf den 9. September 1924 datieren.

KB: Die untere Etage unserer Ausstellung ist eine Montage aus vorhandenem Material. Dabei beziehen wir uns auf eine von dir seit einigen Jahren verwendete Vorgangsweise, die du in den sogenannten Collagen anwendest. Stolze 80 davon zeigen wir. Bei diesen Collagen holst du Bilder aus dem Internet, aus Zeitungen und Zeitschriften: Zeugnisse unseres Medienzeitalters. Bilder, die die ganze Welt bevölkern und im öffentlichen Medienraum zu finden sind. Du fügst sie auf Metalltafeln, übereinandergelegt und durch Magnete befestigt zu einem Ganzen zusammen. In dem Sinne eine Art dreidimensionaler Kosmos, den du da baust?

PK: Ich glaube, diese Collagen oder Montagen sind aus einem gewissen Antagonismus heraus entstanden. Viele Jahre war mein visuelles Vokabular ein ziemlich reduziertes, überschaubares. Es waren wenige Bausteine, die ich über die Jahre variiert und verschieden kombiniert habe. Aus dieser Reduktion heraus ist sicherlich auch eine Notwendigkeit bzw. Sehnsucht entstanden, aus einer Vorstellung von Gesamtheit und Überfluss zu schöpfen. Der Ursprung des Ganzen war eine Pinwall in meinem Atelier, wo ich Zeitungsausschnitte aufgehängt hatte, die irgendwann für meine Arbeit relevant werden könnten. Ohne mich dabei darum zu kümmern oder begründen zu wollen, warum das so war. Dennoch hat dieser Prozess des Wählens, Sammelns und In-ein-Verhältnis-zueinander-Setzens eine gewisse analytische Dimension. Man findet für sich selber heraus, worauf man anspricht. Was man filtert, was sich wiederholt und auf welche Weise man es kombinieren mag.

KB: Einen Teil der Pinwall haben wir in der Ausstellung Vermessung der Welt (2014) gezeigt. Sie war uns wichtig, weil sie einen Ordnungsprozess sichtbar macht, der ein Versuch ist, die Welt zu strukturieren und sich in gewissem Sinne Untertan zu machen. (BILD aus der Ausstellung 2014) Machst du dir jeweils eine Vorgabe? Also gibt es so was wie ein Protokoll für das Erstellen der einzelnen Werke oder Serien?

PK: Eigentlich ist es ein sehr intuitiver Prozess, der auch sehr assoziativ funktioniert. Wo man nicht immer genau begründet, was warum neben was zu liegen kommt, aber dadurch gibt es auch ein Moment der Überraschung. Ich habe die Tendenz, in Serien zu arbeiten. Ich mag methodische Abläufe. Deswegen habe ich mich für ein standardisiertes Träger- und Rahmensystem entschieden, in dem mit Hilfe von Magneten über einen langen Zeitraum Material sortiert und gesammelt wird. Das verändert sich. Obwohl man häufig nach denselben Spielregeln vorgeht, ändern sich die Ergebnisse über die Jahre. Zum einen, weil sich Sehgewohnheiten ändern, zum anderen natürlich auch, weil sich ändert, womit man visuell konfrontiert wird.

KB: Bei dieser Wand, die du im Studio hast, die es nach wie vor gibt und an der du immer wieder parallel zu allem anderen arbeitest, denkt man unweigerlich an den Mnemosyne Atlas von Aby Warburg und an sein Konzept der unterschiedlichen Gruppierungen oder Strukturierungen eines kulturell geprägten Bildgedächtnisses. Parallel tauchen in der Bilderflut, die diese Arbeiten evozieren und reproduzieren, natürlich auch Fragen nach der Bedeutung und der Macht des reproduzierbaren Bildes für das „Bilden der Massen“ mit auf. Walter Benjamins Warnung vor der medien- und bildgesteuerten Menge ist heute aktueller denn je. Wir befinden uns in einer Zeit, in der uns das reproduzierbare Bild überall umgibt. Wir können Bilder ständig abrufen, vermeintlich scheint nichts mehr verborgen. Personalisierung allerdings katapultiert Meinungsbildungen durch Auswahl in vorbestimmte Richtungen, bekannterweise noch viel schneller und aggressiver, als Benjamin sich das hätte vorstellen können. Gleichzeitig gibt es wachsende Einschränkungen, die unter dem Deckmantel des Schutzes der Autorschaft agieren und an gewaltige ökonomische Interessen gekoppelt sind und das Prinzip der offenen Verfügbarkeit weiter untergraben. Auch wenn wir anerkennen, dass der Schutz geistigen Eigentums wichtig ist, wird es immer deutlicher, dass mit einem vermeintlichen Schutz auch der absoluten Medienkontrolle durch zentrale Stellen – und deren Algorithmen – Vorschub geleistet wird. Und da fallen mir dann in deinen Collagen aus Medienbildern etwa die wie Ausrufezeichen der Aggression und der Massenkommunikation funktionierenden Elemente des ausgestreckten Zeigefingers der amerikanischen Plakatserie zum Aufruf zum Bürgerkrieg ein. Mich beschleicht hier der Verdacht, dass du in dieser Serie eine fundamentale Skepsis dem Medienbild gegenüber thematisierst und die Frage der Autorschaft im Netzzeitalter aus einer ganz neuen Perspektive aufmachst?

PK: Ich würde diese Problematik gerne aus einer chronologischen Perspektive sehen. Der Themenkreis, den du ansprichst, hängt sehr eng mit der Etablierung des Internets zusammen. Das ist vor ein bisschen mehr als 20 Jahren passiert. 1997 ist es ins allgemeine Bewusstsein gerückt und in der Zeit hat man die ersten Emails verschickt und die enorme Dynamik der Kommunikation hat begonnen. In der frühen Phase gab es die Euphorie, dass erstens das Netz niemandem gehört und es zweitens dezentral ist. Man erhoffte so etwas wie das Instrument für real existierende direkte Demokratie, das den Zugang zu Wissen für alle gleich ermöglicht. An die neuen Kommunikationstechnologien waren also riesige, auch gesellschaftspolitische Hoffnungen geknüpft. Und wenn man sich ansieht, was in den letzten 20 Jahren passiert ist, hat sich das alles ziemlich ins Gegenteil gedreht. Es gibt nur noch einige wenige Monopole, die diese Technologien beherrschen, und das Internet ist in jeden Lebensbereich vorgedrungen, durch Smartphones und all diese digitalen Plattformen, mit denen unsere Kinder aufwachsen. Wir beginnen, den Unterschied zwischen Bild und dessen Reproduktion weitgehend zum Verschwinden zu bringen. Die Frage von Original und Reproduktion stellt sich hier deswegen neu, weil die Fähigkeit zur Differenzierung immer weniger gefragt ist und verloren geht. In diesen letzten 20 Jahren hat eine enorme Veränderung stattgefunden, die in der Form überhaupt nicht voraussehbar war. Weil dieser Bereich, in dem wir uns bewegen, so komplex ist und eigentlich auch nur mehr in gewissen Maßen bewusst gesteuert wird. Vieles sind auch Automatismen, aus denen wichtige Veränderungen resultieren.

KB: Wie meinst du das genau?

PK: Zum Beispiel die Thematik der Artificial Intelligence. Da entwickelt sich eine Dynamik, bei der man nicht das Gefühl hat, dass diese Entwicklung von jemandem gesteuert wird. Die Dinge haben eine Eigendynamik entwickelt.

KB: Genau. Ich glaube, das zeigt, dass das Bild als absolutes Hauptkommunikationsmedium die Sprache längst überholt hat. Zumindest in den digitalen Medien.

PK: Dem Bild hat man immer mehr getraut, oder?

KB: Wohl ja. Auch wenn man längst weiß, dass Bilder konstruiert sind. Aber gerade dieses Wissen vermittelt ein Gefühl des Unheimlichen, weil es auch Unausweichlichkeit in sich trägt.

Ein Phänomen deiner Arbeiten ist, dass sie bei aller Präzision immer auch aufdecken, dass es sich um Konstruktionen handelt. Ein anderes, vor allem in deinen Installationen und Medienräumen, dass sich die Menschen darin geradezu unheimlich gern abbilden. In Selfie-Zeiten vielleicht auch immer mehr… es scheint, als machten diese konstruierten Räume den Einzelnen besonders spürbar. Ich denke immer wieder an den Film Matrix, wo die einzelnen Protagonisten auf Rastern im Raum auftauchen. Du schaffst in den Räumen – im Museum ebenso wie in der U-Bahn – filmische Situationen und die Kamera ist ein Liebhaber dieser Situation.

PK: Ich habe zuerst darüber gesprochen, dass für die Entwicklung meiner Arbeit die Piktogramme eine wichtige Rolle gespielt haben. Ein zweiter Aspekt, der für mich wichtige Inspiration war, ist die Architektur und im Besonderen die Filmarchitektur. Vor allem aus der Zeit, aus der das Ballet mécanique stammt; Filme des Expressionismus: etwa Metropolis aber auch Das Kabinett des Dr. Caligari, Nosferatu … diese deutschen Schwarz-Weiß-Filme. Filmarchitektur ist deswegen für mich wichtig, weil es sich um eine Konzeption von Architektur handelt, die nicht von der Funktion bestimmt ist, sondern von reiner Emotionalität. Das hat mich immer schon interessiert.

Später ist das dann natürlich auf die Computertechnologie getroffen. Die Fortsetzung des Ganzen waren Räume, die du mit dem Computer generieren kannst und die du in Computerspielen und Science-Fiction-Filmen wiederfindest, die mit diesen Technologien generiert sind. Und hier wiederum schließt sich wahrscheinlich der Kreis: die Bildhintergründe, die ich daraus entwickelt habe, sind ideal, um in so einem ein Medium wieder eingespeist zu werden, indem man sich etwa selber davor fotografiert.

KB: Du zeichnest ja eigentlich mit Licht …

PK: Es ist immateriell. Es ist reine Information.

KB: Genau. Du machst damit einen betretbaren Bildraum, der eigene Dimensionen schafft, Wände auflöst, neu definiert, transformiert und neue Welten öffnet.

PK: In den 1990er Jahren, als ich begonnen habe, großformatig die Wand zu bearbeiten, gab es keine großformatigen Digitaldrucker, mit denen man diese Oberflächen hätte erzeugen können. Deswegen habe ich mit Siebdruck gearbeitet. Im Prinzip war es ein orthogonaler Raum wie beispielsweise die Secession, der mit diesen Schwarz-Weiß-Oberflächen austapeziert wurde und dadurch seine Form völlig verändert hat. Es gab auf einmal eine Verschiebung zwischen dem real existierenden Raum und dem Raum, der aus dieser Information generiert wurde.

KB: Du hast schon die Tapeten aus der Secession erwähnt. Wir verwenden einen Teil der damaligen Module, die die Sammlung Schilcher für dich aufbewahrt hat, wieder: Sie legen sich als die Wand durchdringende Elemente über die fixen Teile der Architektur. Im Space 02 also formierst du ein Raster, widmest dich vor allem der Wand als Bildträger. Neben den Tapeten haben wir Vorhänge von den 1980ern bis heute, gewebt und bedruckt, opak oder durchscheinend und zum Teil sogar mechanisch bewegt. Ein neuer Teppich ist da und zuletzt eben auch die Collagen, die wiederum einen Teil der anderen Arbeiten und Objekte der letzten 35 Jahren versammeln. Also einiges an unterschiedlichen Techniken, die Wände, Decke und Boden bauen.

PK: Ja, wir haben uns ja gemeinsam entschlossen, auch ältere Arbeiten von mir zusammenzutragen, um eine Struktur zu bauen. Die Tapeteninstallation auf den großen vorhandenen Wandflächen sind ist von 1995. Das ist immerhin auch fast vor 25 Jahren gewesen. Das war die Phase, wo man das nur in Siebdruck erzeugen konnte. Und es gab die Mitarbeiter, die es mit Tapetenkleister an die Wand gebracht haben. Die mechanischen Vorhänge hingegen sind 2004 für den Kunstverein Hannover entstanden, wo sie als fahrende Bilder den rechtwinkligen Ausstellungsraum mehrfach unterteilten und wieder öffneten.

KB: Deine Arbeiten verbinden sich mit der hiesigen Architektur über unterschiedliche Technologien, die in deiner Arbeit immer eine wesentliche Rolle gespielt haben. Also zum Beispiel ist das Technologieaffine nie versteckt, sondern auch Teil deiner Arbeit.

PK: Das ist auch das, was die Oberflächen teilweise mitbestimmt.  Aus jedem technischen Medium resultieren bestimmte Oberflächen. Das gilt  für die Vorhängen natürlich auch. Einige Vorhänge in der Ausstellung sind Jaquard Webstoffe. Und Der Jacquard-Webstuhl war eine der ersten digitalen Maschinen, die es gab. Er ist eine Erfindung  zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Damals sind Maschinen zum ersten mal mit Lochkarten angesteuert worden. Es war reizvoll, auf diese Technik zurückzugreifen, zumal diese Maschinen in den 90er Jahren auf Computer umgestellt worden sind.

KB: Und in der Bearbeitung dieser Umstellung haben sich aus den Lochkartenmustern für dich wieder Muster generiert? War das eine direkte Übersetzung?

PK: Nein, überhaupt nicht. Auf einmal waren Lösungen möglich, die mit den Lochkarten gar nicht realisierbar waren. Zum Beispiel ein Verlauf über 3 Meter, das wäre undenkbar gewesen, weil es zu viel Information ist, auf die man zurückgreifen muss.

KB: Wir zeigen in der Ausstellung Lochkarten von Antheils musikalischem mechanischem Ballett, Lochkarten zur Steuerung von Pianos mit großartigen Mustern und einer eigenen Ästhetik. Den Sound synchron zum Film zu machen, war das Ziel von Antheil und Léger 1924. Geschafft haben sie es nicht. Es wurden zunächst zwei unabhängige Stücke.

PK: Aber der Ansatz, zu diesem abstrakten Film so etwas wie Maschinenmusik zu entwickeln, war in einem hohen Maß interessant und radikal.

KB: So radikal, dass sowohl Film wie auch Musik zum ewig weiterentwickelten Prozess werden. Wir nehmen diesen Prozesscharakter für die Ausstellung auf und nehmen die Gelegenheit wahr, sie vom Grazer experimentellen Musiker und Komponisten Winfried Ritsch, einem Spezialisten der Maschinenmusik, neu interpretieren und erstmals vollständig automatisch mit dem Film synchronisieren zu lassen. Der abstrakte Film war ja schon selbst irgendwie eine Maschine, was durch das rhythmisch ratternde Räderwerk der Filmbeförderung auch hörbar wird. Léger thematisiert konsequenterweise wiederum im Film den Menschen selbst in seiner Maschinenartigkeit. Zahnradartige Tänzerinnenbeine berichten davon. Oder die wunderbare, mehrfach wiederholte Sequenz einer Frau, die immer wieder die Treppe mit einem Holzbündel hinaufgeht: Sie lächelt und arbeitet. Sie lächelt, so wie auch die Frau auf der Schaukel, die am Anfang des Filmes erscheint. Légers Film zeigt also auch den Menschen als würdiges Individuum im Räderwerk zwischen Schaffen und Rasten.

PK: Er ist ja auch Kommunist.

KB: Ja, durchaus, das sehen wir besonders gut in der Zusammenarbeit zwischen ihm und der Designerin, Aktivistin und Architektin Charlotte Perriand, die wir in der Ausstellung auch anschneiden – auch weil sie das Thema der Funktionalität der Kunst ganz neu und grandios aufmachen, das auch in deinen Arbeiten nicht ausgeklammert ist.

PK: Du sprichst von meinen Möbeln, denke ich. Ja, Bild und Funktion zu vereinen, habe ich nie gescheut.

KB: Im Maschinenorchester, das Antheil in Geschwindigkeit und Fülle auf die Spitze treibt und physisch über-spürbar macht, ist eine spezifisch physische Komponente, die auch im Erlebnis deiner visuellen Illusionsräume und Pomassls akustischer Ebene ähnlich über ein stark körperliches Wahrnehmen herausgearbeitet wird. Da gibt es eine Parallele.

PK: Es gibt da eine große Parallele: Pomassls Vorgehen, Klang als skulpturales Medium zu verstehen hat mich immer schon interessiert. Auch weil ich den Übergang vom Zweidimensionalen zum Dreidimensionalen bearbeite. Seine Stücke sind akustische Objekte. Sein Tun hat weniger mit Musik zu tun als mit Sound als Material.

KB: Tatsächlich arbeitet ihr alle an der Verbindung von programmiertem Sound und programmiertem Bild und deren physischer Materialität. In Antheils Ballet Méchanique wie auch in den audiovisuellen Zusammenarbeiten von Dir und Pomassl – etwa in der sogenannten München Box, die als kleiner, aus Screens und Lautsprechern zusammengebauter Raum in einen psychodelischen Discoraum entführt – stellt sich ein physisches Erlebnis ein: skulpturaler Raum von Bewegung und Klang produzierenden Objekten wird erlebbar; Starke Rhythmen bringen die Herzfrequenz in einen Gleichklang und das Gefühl einer Relativität von Zeit und Raum gerät ins Wanken. Der ganze Körper „nimmt wahr“. Wie geht ihr beide in euren Prozessen genau vor?

PK: Er bekommt die Bildspur und arbeitet damit. Wir arbeiten seit über 20 Jahren zusammen, wobei die Zusammenarbeit immer eine sehr direkte war. Im Laufe der Jahre sind viele Projekte entstanden und dadurch kennt man die Arbeitsweise des anderen genau. Es gibt auch eine gewisse Entsprechung im Tun.

KB: Du meinst auch das Interesse an einer physischen Wahrnehmungsverschiebung, denke ich. Was war das Erste, was ihr gemacht habt?

PK: Ich glaube, das Erste war ein Projekt für die Wiener Festwochen. 1998 oder 99. Mit der Choreografin Jennifer Lacey aus New York. Jennifer hat die Choreografie entwickelt, Franz den Sound und ich den visuellen Teil.

KB: Wir haben über das Ausstellungskonzept des Bauens eines losen Netzwerks assoziativer Verknüpfungen gesprochen, die sich aus der konsequenten Fortsetzung des Konzepts deiner Collagen entwickeln. Solche Verbindungen entstehen auch durch konkrete künstlerische Zusammenarbeiten, die wir in der Ausstellung immer wieder thematisieren. Das Ballet mécanique etwa trägt zwar „nur“ zwei Autorschaften, wurde aber mit Unterstützung von vielen Beteiligten wie Man Ray und Ezra Pound erst angestoßen. Das gemeinsame Interesse galt einer Gesellschaft des Aufbruchs, in der man etwa durch neue Technologien eine möglichst direkte Erfahrung und Entwicklung erhoffte. Neue Technologien wie die mechanische Synchronisation eines Filmes durch den Bad-Boy-Pianisten Antheil und seine aufsehenerregenden Maschinenklaviere begeisterten alle. Leider hatte Antheil dann aber wenig Erfahrung, wie man Klaviere miteinander synchronisiert. Trotzdem muss ihn diese Erfahrung und Auseinandersetzung zeit seines Lebens bewegt haben, denn als er die technikaffine Hedy Lamarr in den späten 1930ern trifft, besinnt er sich auf sein Lochkartensystem mitsamt den Fragen der Synchronisierung.

PK: Ja, Lamarr, die berühmt für ihre Filme und für die erste Nacktszene in einem Spielfilm war, muss eine große technische Begabung besessen haben. Sie ist Bankierstochter, die Mutter war Konzertpianistin, sie kam aber wohl auch aus einer technikaffinen Familie.

KB: Und mit ihrem Nachbarn Antheil, der 1939 in L.A. ihr Nachbar wird, entwickelte sie während des Zweiten Weltkriegs einen Funk-Vorläufer für WLAN-Technologien …

PK: Sie hatte ihr Funkfernsteuersystem als ein Kommunikationssystem zwischen U-Booten und Torpedos entwickelt und es 1940 der amerikanischen Marineabwehr angetragen. Leider ohne Erfolg.

KB: Trotzdem haben sie es zum Glück patentieren lassen. Das Patent haben wir hier. Es beinhaltet eine genaue Beschreibung von Codierungen und Schaltungen anhand von Lochbandstreifen bei Sender und Empfänger …

PK: … die beiden waren identisch und ermöglichten einen ständigen Wechsel der Frequenzen.

KB: Das Patent zeigt, wie sehr sich visuelle Codiersprachen ähneln, seien sie für Musik, Mustervorgaben bei der Textilherstellung oder eben für Sprache.

PK: Es sind merkwürdige Vernetzungen von Gedankenentwicklungen, die sich in der Ausstellung als Verbindungen und Abzweigungen abzeichnen.

KB: Die Ausstellung trägt deshalb auch den Titel Connected, an den eine fast schon absurde Reihung von Namen angehängt ist: Peter Kogler with Fernand Léger with George Antheil with Hedy Lamarr with Winfried Ritsch. Wir sind in dieser Reihung mehr oder weniger alphabetisch vorgegangen – auch um aufzuzeigen, dass die Logik der Kette keine strikt chronologische ist. Das Netz, das wir aufspannen, berücksichtigt ebenso eine assoziative wie ikonografische Ebene von Verbindungen. Wir lesen konzeptuelle und interessenverwandtschaftliche Parallelen aus den Leihgaben, die wir zusammenstellen, heraus – aber immer wieder bestimmt sich ein Treffpunkt eben auch durch örtliches Zusammenkommen.

PK: Es zeigt sich darin also, wie Dinge und Biographien miteinander verknüpft sind …

KB: … und wie sich Denken verknüpft.

PK: Kuriositäten tun sich dabei auf, wie etwa der Mädchenname von Hedy Lamarr, der Kiesler war, ohne dass die beiden aber verwandt wären. Sie sind es wirklich nicht, oder?

KB: Ja, ursprünglich hieß sie Hedwig Kiesler. Interessanterweise kam sie auch aus Wien, trotzdem sind sie nicht verwandt. Es gibt noch so eine Spur, die ich faszinierend fand in unserer Recherche: Vom bedeutenden Kunsthistoriker und ehemaligen Leiter der Neuen Galerie in Graz Wilfried Skreiner stammt die Geschichte, daß Fernand Léger für den Bahnhof in Graz ein Wandbild hätte gestalten sollen. Dieses sei aber, weil er als Sozialist galt, in den Nachkriegsjahren nie zur Umsetzung gelangt. Diese Geschichte hat uns natürlich fasziniert, auch weil dann du Jahre später eine Wandgestaltung am Bahnhof gemacht hast, die Ankommende in Graz auch heute noch empfängt.

PK: Und die wiederum lustigerweise im selben Jahr wie das Kunsthaus eröffnet wurde.

KB: Genau. Nun sind wir dieser Geschichte nachgegangen und in den Archiven von Graz gibt es keine Hinweise, dass so etwas hätte sein können. Nach wie vor glaube ich, dass es durchaus möglich ist, wir es nur leider nicht gefunden haben. Das Archiv von Léger in Biot hat uns bisher auch noch keine Antworten liefern können.

PK: Ein paar Wochen haben wir ja noch Zeit, um die Unterlagen zu finden, die das Ganze belegen …

KB: Ja, ich finde schon den Umstand interessant, dass mehrere Generationen von Studentinnen und Studenten – Skreiner unterrichtete von 1966 bis 1992 – davon ausgingen, dass Léger in dieser Stadt etwas hätte machen sollen, was ihm aber wegen seiner Gesinnung, die in der Kunst durchaus lesbar ist, nicht erlaubt wurde. Ob das wahr ist oder nicht, spielt in Zeiten, in denen wir die Auswirkungen von Fake News täglich sehen, keine so große Rolle. Wichtiger ist, dass das Gerücht aufging. Wohl eben weil seine Werke erkennbar mobilisieren konnten.

PK: Das bringt uns nun zu seiner Zusammenarbeit mit Charlotte Perriand, der großen Designerin und Aktivistin.

KB: Und zum wesentlichen Stichwort Zusammenarbeit, das in der Ausstellung allerorts eine Rolle spielt. Der durch alle Gattungsgrenzen arbeitende Léger – man denke neben seinen Filmbeteiligungen an Entwürfe für Bühnenbilder, Mosaike im öffentlichen Raum, Glasfenster für Kirchen – hat in mehreren Momenten seiner Karriere immer wieder mit der bei Le Corbusier für die Möbelherstellung verantwortlichen Charlotte Perriand zusammengearbeitet. Wir zeigen in Vintage Prints den gemeinsam gestalteten Pavillon d’Agriculture von 1937 für die Weltfachausstellung in Paris. Es war eine große, öffentlich zugängliche und offen gestaltete, runde Holzstruktur, die Bilder von Werkzeugen, Arbeitern, sonnigem Himmel im Kreis anlegten und ein farbenstarkes Panorama des französischen Aufbruchs in die Zeit der Moderne manifestierten. Es stellte die Möglichkeiten der Industrialisierung für die Qualität und den Nachschub von Lebensmitteln ebenso dar wie eine wohlstrukturierte und ausgeglichene Gesellschaft zwischen Arbeit und Vergnügen. Visuell ein unglaublicher Wurf, Fotografie wurde neben Malerei eine Bühne für das Volk, das darunter flanierte. Kunst im Dienst des industrialisierten, geordneten und sozialen Lebens …

PK: Kunst für den Alltag. Auch Perriands Möbelentwürfe zeugen davon.

KB: Ein Anliegen, das du in gewissem Sinne auch verfolgst. Wenn wir an die großen Arbeiten in der Wiener U-Bahn oder Am Bahnhof Graz denken. Wo täglich tausende Menschen durchgehen.

PK: Das Projekt von Léger und Perriand war keine klassische Ausstellung, es war eine Art Display-System, wo man tatsächlich was kommunizieren wollte, was mit der Gesellschaft und ihrem Alltag zu tun hatte. Es war also kein klassischer Ausstellungsraum. Es war keine museale Situation. Mit so einer anderen Situation ist man ja immer im sogenannten öffentlichen Raum konfrontiert. Dort gibt es ein anderes Publikum, ein anderes Gegenüber mit ganz anderer Aufmerksamkeit. Da gibt es dann die Notwendigkeit, mit einem visuellen Vokabular zu arbeiten, das klare Kommunikation ermöglicht. Diese Problematik ist in der frühen Moderne im großen Stil tangiert worden. Wahrscheinlich auch immer unter dem Zukunftsaspekt einer besseren Gesellschaft. Es gab in der frühen Moderne tatsächlich dieses utopistische Moment, das für meine Generation nicht mehr verfügbar war. Meine Gemeinschaftsarbeiten waren dementsprechend ein wenig anders gelagert: Ich habe in den 1990er Jahren mit Franz West zusammengearbeitet, aber auch mit Heimo Zobernig, Marcus Geiger oder mit Albert Oehlen. Es war durchaus üblich, dass man sich ausgetauscht und zusammengearbeitet hat. Einerseits weil es die Arbeit komplexer machte und verschiedene Perspektiven zusammenkamen, andererseits weil es so etwas wie Arbeitsteilung gab und man sich verschiedene Bereiche aufgeteilt hat. Und das wiederum trug zur Beleuchtung der Problematik Kunst und Alltag bei: Kunst als nicht profaner Gegenstand in seiner Beziehung zum profanen Alltagsgegenstand.

KB: Etwas, was du und West in der Arbeit, die wir von euch zeigen, wunderbar zitiert: Hirn mit Ei ist die Addition eines quadratisch abgetrennten Vorhangraumes, wie es ihn etwa beim Arzt geben könnte, und einer Liege von Franz West.

PK: Die Chaiselongue.

KB: Ein Privatzimmer gemeinsam. Ich nehme an, der Titel kommt von Franz West, nachdem deine Arbeiten fast alle mit Ohne Titel bezeichnet sind.

PK: Ganz richtig. Die Arbeit hieß Hirn mit Ei in Klammer Wiener Küche. Und der Stoff, den ich entworfen habe, das ist tatsächlich Gehirnstruktur, die dann mit diesen Jacquard-Webstühlen hergestellt wurde. Die Arbeit war Mitte der 90er Jahre im Centre Pompidou in einer Ausstellung zu sehen. Die hieß damals Hors limite – jenseits der Grenzen. Das war eine Ausstellung, wo es um den grenzüberschreitenden, auch funktionalen Aspekt von Performance ging. Kunst, die in irgendeiner Form mit Aktion, mit einem Ereignis zu tun hat. Und klarerweise implizieren die Passstücke von Franz und seine Möbel eine bestimmte Nutzung. Deswegen war das damals dort zu sehen.

KB: Hirn mit Ei war wohl auch eine Persiflage auf österreichisches Exportgut. Ein österreichischer Gruß nach Frankreich von euch beiden. Nicht nur Esskultur, sondern eben auch Freuds Psychoanalyse als Kultur- und Exportgut grüßt deutlich durch die Objekte hindurch. Eine Zusammenarbeit, die wir auch deswegen in die Ausstellung genommen haben, weil sie an die Idee der Konnektivität anknüpft, die aufzeigt, wie sich Beziehungen weit über das jeweilige Objekt hinaus entfalten und nicht ignorieren lassen. Dass man als Genie – und sei das Gehirn noch so groß – etwas alleine tut und wie sehr man sich immer gegenseitig beeinflusst, stellen wir damit schon auch in Frage. Spannend in dem Zusammenhang ist auch die Arbeit, die du mit dem museum in progress gemacht hast und die auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheint, weil du mit unterschiedlichen Künstlerinnen und Künstlern Interviews gemacht hast und sie primär dokumentarisch erscheint.

PK: Ja, ich habe das Format dafür entwickelt. Die Idee dafür wurde geboren, als meine Frau und ich zwischen 1989 und 1990 zwei Jahre in Kalifornien gewohnt haben. Ich habe in L.A. Louis Walden kennengelernt, ein Ex-Mitglied der Warhol Factory der 60er Jahre. Er ist in diversen Warhol-Filmen als Schauspieler wie zum Beispiel Blue Movie oder The Nude Restaurant zu sehen. Das ergab die Idee, einen Dokumentarfilm über die Ex-Factory-Stars zu machen. Mich hat interessiert, was machen die Leute jetzt, die so viel initiiert haben und Ikonen wurden. Die Einzigen aus dem unmittelbaren Warhol-Umfeld, die wirklich Karrieren hatten, waren interessanterweise die Musiker. Die Mitglieder von Velvet Underground waren präsent, nicht aber die ganzen anderen Stars aus der Zeit wie zum Beispiel Edie Sedgwick oder Tayler Mead. Während der Recherchen bin ich draufgekommen, dass ein Drittel nicht mehr lebt. Wir sind dann aber aus Amerika zurück und dann war dieses Projekt nicht mehr realisierbar. Man hätte vor Ort sein müssen. Was aber dann überlebt was das Format der Aufnahme von „Talking Heads“ – also fixe Kameraeinstellung auf Gesicht und Schultern, das sich für diese Ex-Factory Leute an Warhols Screentests orientiert hätte. Mit fixer Kameraeinstellung, die auf Gesicht und Schultern gerichtet ist und immer einen monochronen Bildhintergrund hat. Genau dieses Format haben wir dann für Künstlerinterviews mit damals für uns relevanten und greifbaren Figuren der Kunstszene übernommen. Wir haben uns erkundigt, wer in Wien Ausstellungen haben wird, wen wir interessant fanden, wen wir uns ins Studio holen konnten und wen die Person als Gesprächspartner haben könnte. Es waren diese einfachen Entscheidungen, aus denen dieses Interviewprojekt resultiert ist. Das Museum in progress hatte damals einen Draht zum ORF, der tatsächlich Interesse hatte, das auszustrahlen. Sie haben dann aber davon Abstand genommen, als sie sahen, wie das Ganze aussah. Den ORF hat es damals schwer überfordert. Meine Überlegung aber war, dass wir es ja an der Akademie drehen könnten, an der ich gerade zu unterrichten begonnen hatte. Damit hatten die Studierenden erstens eine Lecture umsonst und lernten zweitens mit der Kamera umzugehen und man baut sich drittens ein fantastisches Archiv auf. So ist es dann auch geworden. Wir haben ungefähr von 1992 bis 1996 gedreht. Es ist eine erstaunliche Liste von Künstlerinnen und Künstlern, die zusammengekommen ist. Viele von denen sind jetzt Stars. In den 1990er Jahren war das nicht so klar.

KB: Etwa Andrea Fraser oder Lawrence Weiner …

PK: Lawrence war schon in den 90er Jahren eine zentrale Person. Aber ja, Raymond Pettibon, Mike Kelley oder Jimmie Shaw waren noch nicht so bekannt. Es hat sich erst im Laufe der Jahre herausgestellt, welche Rolle sie spielen.

KB: Das Ganze ist auch ein Abbild geworden von internationaler, künstlerischer Tätigkeit in Wien zu dieser Zeit.

PK: Wir hatten ja nicht das Geld, die Leute einzufliegen, deswegen musste man sich schlau machen: Wer kommt und wo haben wir auch den Draht hin, um die ins Studio zu holen.

KB: Wir zeigen jetzt einen Teil dieser Arbeiten, eine Auswahl von acht Positionen, die in den Interviews so wunderbar über ihre Arbeit und über ihre Definition von Kunst sprechen – viele davon sind für dich wichtige Künstlerkolleginnen und Kollegen, die aus der Konzept- und Minimal Tradition kommen und damit wieder Verbindungen zu den Positionen unten eröffnen, die durchaus fruchtbar sind. Wie etwa Matt Mullican, dessen kosmologische Arbeit mit Neurath oder Kiesler und Pound im Hinterkopf eine unglaublich vielschichtige ist.

PK: Genau.

KB: Formal sind sie vor einem monochromen Hintergrund in recht unterschiedlichen Farben. Wer wählte die Farben?

PK: Manche wollten es sich aussuchen, manchen habe ich sie zugeordnet: Pistoletto wollte einen Spiegel im Hintergrund. Nur bei ihm sieht man daher den Interviewer, Dennis Zacharopoulos, der sich im Hintergrund spiegelt. Tony Oursler wünschte sich einen Hintergrund aus Farbschlieren, Matt Mullican wechselt die Farbe je nachdem, über welchen Teil seiner Kosmologie er spricht. Ich glaube, das Rosa für Jeff Koons habe ich ausgesucht. Und auch Franz Wests Hintergrund habe ich entschieden – Grün.

KB: Stimmt, ein ganz grelles Grün.

PK: Wenn Leute selbst entschieden haben, ist es oft Blau geworden. Es gibt Klischees, die stimmen.

KB: Ich bin sehr glücklich, diese Arbeit in der Ausstellung zu haben. Auch wenn sie ausschert, baut sie Geschichte. Wie in der ganzen Ausstellung ist Geschichte ein Netz von Ereignissen, in dem kuriose Zufälle ebenso zählen wie Überschneidungen von Interessen und Orten. Heute sind diese ganzen Künstler auch Kunstgeschichte. Heute sind sie wesentliche Träger einer eben gerade Geschichte gewordenen Zeit.

PK: Wir trennen die Arbeit räumlich. Wir zeigen die Videos nicht unmittelbar in der Ausstellung, sie sind oben in der Needle zu sehen. Es ist quasi ein Archiv.

KB: Und das ist konzeptuell durchaus verwandt mit dem Vorgehen im unteren Geschoß und mit den Collagen und der Ausstellung insgesamt, in der wir Geschichte als eine mögliche – in unserem Fall auch übersehene – Geschichte im Kogler-Raster zeigen.

PK: Das Konzept beinhaltet natürlich auch die Frage und das Nachdenken darüber, woher bestimmte Ideen kommen. Wenn wir jetzt über die heutige Bildkultur sprechen, ist ja die Frage, woher Ideen kommen und von wann sie stammen, für eine junge Generation meist irrelevant. Und mir scheint das dennoch die einzige Möglichkeit zu sein, sich zu orientieren. Es ist nach wie vor wichtig zu wissen, woher Ideen kommen und wer sie liefert – auch aus welchem Grund.

KB: Im Bezug auf die Ausstellung mit dir schien es mir wichtig, dich als Künstler der Neuen Medien zu zeigen, der bewusst Geschichte spiegelt und diese stets untersucht, und zwar durch eine kritische Auseinandersetzung mit den Errungenschaften der neuen Technologien in Bezug auf die Wirkkraft des Bildes zwischen Alltag und Kunsttempel. Mir schien es wichtig zu zeigen, dass es mehrere Verbindungen gibt. Wir hätten statt Kiesler und Léger auch Duchamp oder Thomas Bayerle als Vorläufer wählen können.

PK: Wir hätten auch über expressionistischen Film sprechen können.

KB: Wir haben das Ballet gewählt, weil es die Durchdringung der Künste zum Ziel hatte und sich ganz spezifisch mit dem Bild im Zeitalter seiner Reproduktion auseinandersetzt; und mit der Macht dieses Bildes im Zeitalter seiner – heute – schier unendlichen Reproduktion. Deine Arbeiten haben sich immer diesen Fragen des Reproduzierbaren gestellt. Die kritischen Fragen möglicher Manipulationen durch die Macht der Masse dahinter waren und sind dabei immer erlebbares und durch das Medium befragtes Thema. Ich verstehe das als eine Art der kritischen Befragung dessen, was diese Repetition mit dem Denken tut. Was dieses visuelle Verständnis der Bildreproduktion mit unserem Weltverständnis macht.

PK: Und wie siehst du das auf die Situation jetzt bezogen? Diesen Aspekt, mit Bildern umzugehen, ohne zu wissen, was der Index ist, woher es stammt? Siehst du diese Problematik in der gegenwärtigen Situation? Natürlich auch in der Kunst?

KB: Ich sehe, dass sich viele Künstler mit dieser Frage des Verlusts des „Index“ beschäftigen. Das Thema der Allgegenwart des Bildes bietet für einige an der Oberfläche auch die scheinbare Möglichkeit, sich von einer Geschichte zu befreien oder sie eben ganz bewusst neu zu bauen, wie wir es etwa bei Camille Henrots Grosse Fatigue, einer Videoarbeit, die auf eine mit mitreißenden Beats unterlegte, hypnotische Reise einer am Computer zusammengesetzten Weltgeschichte von Bildern Bezug nahm und gleichwertig formale wie inhaltliche Verknüpfungen machte. Sie hat dafür 2013 bei der Biennale den Goldenen Löwen bekommen. Wirklich interessant sind eben oft die Arbeiten, die sich mit Geschichte auseinandersetzen und dabei gleichzeitig beobachten, wie sie sich verändert. Denn ja, ich glaube, die Kriterien für Geschichtsschreibung zu verstehen ist nach wie vor relevant. Tatsächlich ist der Verlust des Index, wie du sagst, ein Phänomen, von dem ich glaube, dass die junge Generation noch gar nicht verstanden hat, wie und wo genau dies passiert. Wir werden etwa als Gesellschaft sehr bald damit umgehen müssen, dass Algorithmen entscheiden, welche Bilder für bestimmte Gruppen funktionieren. Wir wissen, dass sich über Personalisierungen und Gruppenzugehörigkeiten ungeahnt schnell etwas ganz Neues auftut, dessen Tragweite wir noch immer nicht ganz abschätzen können. Es entstehen unabhängig voneinander verschiedene Realitäten und verschiedene Bildwelten als Versionen von Geschichte, die alle den Anspruch auf ihre eigene Richtigkeit in sich tragen. Schnittstellen generieren Bildfolgen für Typ A und Bildfolgen für Typ B oder eben Typ C, wie wir sie jetzt schon kennen, wenn verschiedene Menschen mit ihren persönlichen Algorithmen nebeneinander Google öffnen. Es steht fest dass wir – insbesondere in den sozialen Netzwerken – nicht alle dasselbe sehen, wenn wir einen Suchbegriff eingeben …

PK: Bibliotheken sind in der Regel nach Themen und Kategorien eingeteilt. Durch algorithmische Ordnungen sind Logistikhallen, etwa von Amazon, heute nicht mehr in diesen Kategorien organisiert: Heute liegen Dinge beieinander, die oft gemeinsam abgefragt wurden werden. Damit schafft man ein völlig neues Ordnungssystem.

KB: Eine Veränderung im Denken.

PK: Absolut. Weil das sind psychologische Faktoren, Statistik … ein komplett anderes Gefüge.

KB: Ja, ich glaube, wenn man ausspricht, was das heißt, dann würde das bedeuten, dass Geschichte als eine Aneinanderreihung unterschiedlicher Ereignisse nicht mehr relevant ist. Es geht nicht mehr darum, was war am Anfang, was vor Kurzem und was ist jetzt, sondern darum, was jetzt gerade relevant ist. Und ich hole mir das, was jetzt relevant ist. Wir leben in einer Kultur, die wesentlich geprägt ist von einem linearen Entwicklungsdenken von Geschichte. Einem Glauben daran, dass Chronologien wichtig sind. Eine Prägung, die aus der Aufklärung und dem Rationalismus kommt und zugunsten einer Gesellschaft, die aus Fehlern lernt, zum – immer wieder neu – festgeschriebenen Allgemeingut wird.

PK: Wenn wir davon ausgehen, dass eine neue Medien-Generation Wissen anders verknüpfen wird, dann könnte das auch darauf hinauslaufen, dass die Idee einer linear verlaufenden Geschichte und eine Auseinandersetzung mit der einen, fortschreitenden Entwicklung in Frage gestellt wird. Wesentlich ist es aber nicht, Geschichte als Erkenntnismedium zu verwerfen, sondern herauszufinden, wie Geschichte gedacht werden kann, ohne eine Linearität zu postulieren.

KB: Aber wir werden sie in mehreren Dimensionen und Verbindungen lesen müssen. Im dreidimensionalen Raum. Dafür brauchen wir neue Fähigkeiten. Eine Ahnung davon, was diese Fähigkeiten sein könnten oder was sie von uns verlangen, klingt in deiner hypnotischen Arbeit an, die du für das obere Geschoß machst. Du planst darin in gewissem Sinne das Netz, das wir unten als Raster von Kunstgeschichte aufspannen, als zeichnerisches Geflecht.

PK: Es ist eine neue Arbeit für den Space 01 und dessen Kuppel entstanden.

KB: Du planst, mit sich verändernden projizierten Linien zu arbeiten. Das Haus, das Bewegung über die organisch fließende Form evoziert und die Rollbänder real hereinbringt, wird um eine Illusion der Bewegung reicher werden, stelle ich mir vor. Die Wahl der Linien spiegeln auch ein Geflecht wider, das die innere Skin bestimmt. Etwas, das sich aus einem Testbild ergeben hat.

PK: Ja, auch. Die Arbeit wird ist neu für den diesen Raum gemacht konzipiert. Das ist das Reizvolle an solchen Projekten. Das Haus ist so spezifisch, dass es notwendig ist, etwas zu testen, was ich zuvor noch nicht realisiert habe.

KB: Du hast ja noch nie für einen so organischen Raum gearbeitet. Das ist eine Herausforderung, auch technisch.

PK: Eine Projektion für einen derartigen Raum habe ich noch nie gemacht. Letztes Jahr gab es eine große Tapeteninstallation in einem Gebäude von Frank Gehry, zu dem es gewisse architektonische Verwandtschaften gibt. Aber die Projektion jetzt, das ist schon was Neues. Die Technik macht wieder der Martin Beck, mit dem ich seit 20 Jahren zusammenarbeite. Er muss die Hard- und Software-Technik auf die Situation hier justieren. Wir planen nun 5 Projektoren, die den ganzen Kuppelraum bis zum Boden abdecken und ein Bild synchron mit den körperlich spürbaren Sounds von Pomassl projizieren und über eine komplexe Schnittstelle gesteuert werden. Im Prinzip ist es diese Netzstruktur, die wir hier projizieren. Diese Netzstruktur spielte in den letzten Jahren eine Rolle in den Dingen, die ich mache, aber eben noch nicht als Animation. Jetzt ist es zum ersten Mal ein dynamisches Netz …

KB: … und es verbindet sich mit der Architektur und dem Publikum hier zu einem Ganzen.

PK: Ja, mit dem, was die Architektur vorgibt und was schon der Theaterraum der Raumbühne von Kiesler durch die allseitige Ansicht und die laufende Kreisbewegung wollte.

[1] Frederick Kiesler (Architekt 1890-1965). Konzeption d. Ausstellung: Oswald Oberhuber. Organisation: Erika Patka. Galerie nächst St. Stephan, Wien 1975; Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz 1975; Galerie im Taxis-Palais, Innsbruck 1975; Museum, Bochum 1976

[2] Kieslers revolutionäre Ideen schienen in den 1960ern vor allem formal und so nahmen Archigram und in der Folge auch Cook/Fournier den Visionär bei aller Bewunderung laut Peter Cook nicht ganz ernst. Vgl. Simon Sadler, Archigram. Architecture without Architecture, MIT Press, S. 49

[3] Hier ist auf jeden Fall auf die Ausstellung Graz Architektur: Rationalisten, Ästheten, Magengrubenarchitekten, Demokraten, Mediakraten zu verweisen, die im Winter 2017/18 parallel zu Beiträgen von Peter Cook und Colin Fournier ein breites Netzwerk von Protagonisten der Grazer Architekturszene zeigte.