Die von Peter Kogler im öffentlichen Raum realisierten computergenerierten Innen- und Außenraumgestaltungen sowie seine Beiträge zu internationalen Großausstellungen wie der Venedig-Biennale (1986), der documenta IX (1992) und X (1997) haben ihn vor allem als Raum- und Medienkünstler bekannt gemacht, der sich zusehends von der Tradition des Bildes und dessen statisch-materiellen Vorgaben emanzipiert hat. Die Betrachtung seiner frühen und weniger bekannten Arbeiten relativiert jedoch diesen Eindruck, indem sie zeigt, wie sehr deren zentrale Gestaltungsprinzipien auch grundlegend für die neueren mediengestützten Raumarbeiten sind. So kennzeichnen die Verknüpfungen von Fläche und Raum, von Bild und Objekt, von menschlicher Figur und Architektur, von Gegenständlichkeit und Abstraktion, immer mit Blick auf die neuen Medien, von Beginn an seine Arbeit. Das Medium ist im Falle Koglers nicht schon die Botschaft, sondern ein vielstimmiges Konglomerat aus unterschiedlichen traditionellen und innovativen Techniken und Verfahren, deren jeweilige Bedeutungen sich im Wechselspiel formieren und verschieben.
Der Künstler entwickelte seine Arbeit im Umfeld der Neuen Malerei der 1980er-Jahre und wandte sich dabei gegen deren Reaktivierung mythischer und archetypischer Potenziale. Zwar spiegelt sich auch in den figurativen Details seiner mit Kohle bemalten Bilder und Kartonobjekte Anfang der 80er-Jahre der splittrige Dynamismus expressionistischer und kubofuturistischer Stilreminiszenzen, Kogler setzte jedoch durch seine Bezugnahme auf massenkulturelle und technologische Bildgebungsverfahren konzeptuelle und medienanalytische Gegenakzente zum zeitgenössischen Kult heroisch neoexpressiver Malerei.
Bereits in seinen Performances und Filmen wird deutlich, dass Kogler unter Modernerezeption etwas anderes verstand als die Wiederbelebung eines sinnlich emotionalen Ausdrucksbedürfnisses oder eines reflexionsmüden Hungers nach farbstarken Bildern. Denn als in der gerade einsetzenden Neuen Malerei vornehmlich die Geschichte expressiver Gesten zitiert wurde, verlegte sich Kogler in seiner Duchamp-Performance (1979) im Eingangsraum der Wiener Akademie der bildenden Künste auf das Zitieren der Geschichte konzeptueller, sprachorientierter Kunst: Während er auf einem Stuhl saß und in Robert Lebels Duchamp-Biografie las, pinselte er sich mit Rasierschaum Hörner auf seine Schläfen. Er bezog sich damit auf die Hörner von Michelangelos Moses bzw. auf deren Zitat in Man Rays berühmtem Duchamp-Porträt, dessen Reproduktion wiederum auf Lebels Buch zu finden war. „Was wir sehen, ist die Spiegelung einer Spiegelung einer Spiegelung. Die Wiederholung der als Fotografie anwesenden Inszenierung Duchamps, die ihrerseits auf einer ironischen kunsthistorischen Referenz aufbaut, produziert einen perfekt solipsistischen Kreislauf, dem jeweils ein Authentizität versprechendes Zentrum fehlt. Der Künstler imitiert Duchamp, der selbst nur als Dokument einer durch einen anderen Künstler fotografierten Inszenierung anwesend ist.“#1# Die hier von Stephan Berg beschriebene Kogler’sche Kette von Verweisen verrät nicht nur die Verbundenheit des Künstlers mit der Duchamp’schen Auffassung von Kunst als Definitionsspiel, sondern rückt diese zudem in den Rahmen der zeitgenössischen Sprach- und Zeichentheorie, wie sie Jacques Derrida mit seinem Begriff der „différance“ vertreten und verbreitet hat. Die Sprache als Zeichensystem erweist sich darin als Exerzierfeld für die ephemere und relationale Struktur von Bedeutungen, die immer schon von vorgängigen Bedeutungen mitbestimmt sind und unausweichlich auf die nachfolgenden abfärben: „Kein Element kann je die Funktion eines Zeichens haben, ohne auf ein anderes Element, das selbst nicht einfach präsent ist, zu verweisen, sei es auf dem Gebiet der gesprochenen oder auf dem der geschriebenen Sprache. Aus dieser Verkettung folgt, dass sich jedes ‚Element‘ […] aufgrund der in ihm vorhandenen Spur der anderen Elemente der Kette oder des Systems konstituiert. Diese Verkettung, dieses Gewebe ist der Text, welcher nur aus der Transformation eines anderen Textes hervorgeht. Es gibt nichts, weder in den Elementen noch im System, das irgendwann oder irgendwo einfach anwesend oder abwesend wäre. Es gibt durch und durch nur Differenzen und Spuren von Spuren.“#2# Gegenüber dem Glauben an Bedeutungen als unmittelbar produzier- und rezipierbare Essenzen nahm Kogler in seiner Performance auf den Prozess der Bedeutungsproduktion selbst Bezug und thematisierte damit die Rahmenbedingungen von Kunst als Kunst – allerdings mit anspielungsreichem Witz und nicht auf trocken programmatische Weise.
In einer weiteren Performance, die in der Galerie nächst St. Stephan (1979) stattfand, verdeutlichte Kogler seine essenzialismuskritische, auf die Darstellung von Mittelbarkeit und Flüchtigkeit abzielende Haltung, indem er mit Licht arbeitete und seinen Körper als Schattenbild einsetzte. Nackt und mit lotussitzähnlicher Beinstellung vollzog er in einem Metallgefäß einen Kopfstand. Weil diese zirka fünfminütige „Ausstellung“, deren Dauer sich am körperlichen Durchhaltevermögen des Künstlers bemaß, neben einer Topfpalme im Lichtkegel eines Bauscheinwerfers erfolgte, ergab sich ein markantes Schattenszenario, in dem sich Palmen- und Künstlerschatten ähnelten, der Körper Koglers also zu einem schemenhaft verfremdeten Pflanzenmotiv mutierte. „Der kopfstehende Kogler, der die Form der danebenstehenden Palme nachahmt, markiert so den Beginn einer künstlerischen Laufbahn, die ihr nahezu immer gegenständliches und körperhaftes Inventar an Motiven (Ameisen, Röhren, Hirne) dazu benützt, um dessen Verwandelbarkeit in flache, bedeutungslose, dekorative und abstrakte Bildzeichen zu zeigen, die gleichwohl ihre Herkunft aus der gegenständlichen und mit spezifischen Inhalten besetzten Welt nie so weit verleugnen, dass sie völlig arbiträr werden.“#3# Die Verwandlung des Körpers in ein Bild für anderes und der Vorgang insgesamt, der auf filmische Projektionen anspielt, suggerieren eine Angleichung des Verschiedenen, lassen aber den Prozess der Täuschung sichtbar werden. Man kann erkennen, dass der Körper und sein Schattenbild etwas grundsätzlich Verschiedenes sind und dass sich gerade darin die Arbitrarität der Zeichen abbildet, womit Koglers Kopfstand auch jeden naiven Begriffsrealismus buchstäblich auf den Kopf stellt. Dabei macht das Licht nicht nur die Szene sichtbar, sondern wird als das eigentlich bedeutungsstiftende Medium erfahrbar, weil es erhellt, dass die Bedeutungen nicht schon in den Dingen, Begriffen und Zeichen selbst liegen, sondern durch Zuordnungen, d. h. gleichsam durch nachbarschaftliche Beleuchtungen, herstellt werden und darüber hinaus von ephemerer Qualität und Dauer sind. Im Gegensatz zu der durch die expressionistische Modernerezeption wiederauflebenden Resonanztheorie, die eine ungetrübte Übertragung von Botschaften zwischen Sender und Empfänger suggerierte, verdeutlicht Koglers Körpereinsatz nicht zuletzt die bedeutungsverändernde und -konstruierende Wirkung des Zwischenraumes, der als Medium der Übertragung immer auch ein gesellschaftlich codierter Transformationsraum von Botschaften ist. Der die frühen Arbeiten in den unterschiedlichen Medien bei Kogler dominierende Schwarzweiß-„Stil“ umschreibt generell ein Spiel zwischen Licht und Schatten, das die Relation zwischen Individuum und Masse im Spannungsfeld von realem Sein und medialem Schein beleuchtet.
Das Luminare als Transformationsschiene des Realen ins Zeichenhafte hat Kogler auch in einem seiner ersten Filme eingesetzt. Die in einem Zugsabteil fix montierte Kamera nahm während der Fahrt die vorbeiziehende, sich allmählich in der Abenddämmerung verlierende Landschaft auf. Das Einsetzen der Dunkelheit und das gleichzeitige Aufscheinen der künstlichen Beleuchtung im Außenraum werden in ihrer Durchdringung im Laufe des Films wahrnehmbar. Je mehr das Tageslicht schwindet, desto längere Belichtungszeiten benötigt die Kamera, um scharfe Bilder liefern zu können. So schaltet sich die Belichtungsautomatik der Kamera ins Abbildungsgeschehen ein und blendet damit die Bedingungen der Bilderzeugung in die Bilder ein. Das verdämmernde natürliche und das zugleich erstrahlende künstliche Licht werden nicht einfach filmisch dokumentiert, sondern die gefilmte Dämmerung dokumentiert umgekehrt auch die medientechnologischen Funktionsweisen der Kamera. Damit ist allerdings nur eine inhaltliche Facette dieses Films angesprochen. Auf Schienen und durch Tunnels fahrend, folgt der Zug einer kanalisierten Route, wird die Kamera zur Zeugin und Vermittlerin eines Geschehens, in dessen Verlauf sich die Landschaft in eine Abfolge abstrakt anmutender Helldunkeleffekte verwandelt. Strukturen der Flüchtigkeit gerinnen damit zu einem in sich bewegten Bild. Dass sich Kogler die Abenddämmerung als Bühne des künstlichen Lichts ausgewählt hat und dass dabei die zielgerichtete Fahrt des Zuges in ein ortloses Licht-Schatten-Spiel mündet, das jede konkrete Orientierung verunmöglicht, ist bezeichnend für sein an Interferenzen des Gegensätzlichen orientiertes künstlerisches Handeln. So bildet dieser Film grundlegende Motivfelder für seine weiteren Arbeiten, in denen es um virtuelle Räume, um allgegenwärtige Nicht-Orte und deren Rolle für das Orientierungs- und Wahrnehmungsvermögen der Betrachter geht. Die realen Tunnels, die der Zug durchfährt, liegen gleichsam metaphorisch auf jener Strecke zu den Röhrenmotiven und den virtuellen Labyrinthen, die Kogler auch in seinen zeitgleichen Bildern entwickelt und die seine zukünftige Arbeit mit dem Computer mitbestimmen sollten. Ob es tapezierte Röhren- oder Schlauchformen sind, die ihre Räume in unendlich erscheinende technoide Netzwerke verwandeln, oder ob es sich um virtuelle Bewegungsszenarien in computeranimierten Kanälen handelt, in die man sich als Betrachter eingeloggt findet oder durch die man sich navigieren kann, immer zeigt sich darin eine präzise verortete Ortlosigkeit bzw. ein Hier, das zugleich ein Nirgendwo und Überall ist – wie auf einer Fahrt durch die Landschaft, die in der Dämmerung verschwindet.
Neben dem Film mit dem Zug gibt es von 1981 einen weiteren mit einer Ameise, deren zickzackförmigem Lauf über eine Zeitungsseite die Kamera folgt. Sie fixiert das auf dem Buchstabenlabyrinth herumirrende Insekt in der Bildmitte. Die Kamera ist Beobachter und Alter Ego der Ameise zugleich. Diese wiederum wird zur Metapher eines im Labyrinth massenmedialer Informationen wie verloren wirkenden Lesers, der sich gezwungen sieht, die Oberfläche von Zeichen abzutasten, ohne die Gewissheit zu besitzen, ihnen einen endgültigen und tieferen Sinn abgewinnen zu können. Obwohl das Ganze wie eine beiläufig und unprätentiös festgehaltene Beobachtung wirkt, ist weder die ungekünstelt erscheinende Kameraführung noch das Motiv der Ameise zufällig. Die hier eingesetzte Aufnahmetechnik kann auf die im Rahmen der Konzeptkunst entwickelte delegierte Autorschaft bezogen werden, die dieses Prinzip bis in die bilderzeugenden Apparate vorschob, indem sie inszenatorische und kompositorische Abbildungsweisen möglichst zu vermeiden trachtete und dem Unabsichtlichen und Zufälligen breiten Raum ließ. So wird auch im kurzen Film mit der Ameise die Art der Aufnahmetechnik an die Bewegung des aufzunehmenden Sujets mit all seinen zufälligen Laufrichtungen delegiert. Und was die Ameise betrifft, so galt sie auch den Medientheoretikern, wie Vilém Flusser, als beredtes Zeichen einer zwischen virtueller Künstlichkeit und unhintergehbaren Naturgesetzen oszillierenden Lebenswirklichkeit. Flusser mahnte daher unter Bezugnahme auf die Ameisenmetapher genuin menschliche Bedürfnisse und Eigenschaften ein, die er durch die Technikgläubigkeit bedroht sah: „Die telematische Gesellschaft als eigenartiger Ameisenhaufen: Ameisenhaufen, weil ein mosaikartiges Gebilde, in dem alle Funktionen kybernetisch zusammenspielen; und eigenartig, weil die telematischen Ameisen nicht arbeiten werden, sondern, jede in ihrer Zelle sitzend, Hirngespinste, technische Bilder, ‚reine Kunst‘ spinnen werden. Es werden Gehirne sein, die miteinander und mit künstlichen Gehirnen zu einem Träume sekretierenden Übergehirn gekoppelt sind. Und doch werden an diesen Gehirnen archaischerweise Körper hängen: nach Nahrung, nach Fortpflanzung und nach dem Tod verlangende Körper. Spielverderber.“#4# Weil die Ameise als Wesen betrachtet werden kann, das die Synthese von Gegensätzen umfasst, kann sie auch als Symbol unheilvoller Widersprüche dienen, denen eine fortschrittseuphorische Gesellschaft zu unterliegen drohte. Wegen ihrer symmetrischen Körperform und ihrer Eigenschaft, Labyrinthe als Orientierungs- und Arbeitssysteme zu bauen und zu nutzen, erschien auch Kogler die Ameise als ideales Motiv, das in sich jene Gegensätze verbindet, die in der menschlichen Gesellschaft unter den Bedingungen der Mediatisierung in ihrem Verhältnis zueinander neu definiert werden mussten: nämlich das Organische und das Technoide, das Individuelle und das Kollektive sowie die ornamentale Abstraktheit der Zeichen und die konkrete Sinnlichkeit des Lebens. Die Ameise als Verkörperung von Gegensätzen, die „als Topos mustergültiger sozialer Ordnung und Organisation ebenso verstanden werden [kann] wie als lästiger Störenfried oder bedrohlicher Killer“,#5# ist in Koglers Werk neben dem Gehirn das zentrale Motiv. Ameise und Gehirn besitzen wiederum im Labyrinth mit seinen komplexen Windungen einen gemeinsamen Existenzort und Nenner. So verweisen die Labyrinthe nicht zuletzt auch auf die Vernetzungen der einzelnen Motive innerhalb des gesamten Œuvres.
Nicht nur in den performativen und filmischen Arbeiten, sondern auch in seinen Kohlezeichnungen und Kartonobjekten setzte sich Kogler seit den späten 1970er-Jahren mit der Mediatisierung von Kunst und Gesellschaft auseinander. Indem er davon handelte, ohne sich dabei zunächst der apparativen und elektronischen Medien zu bedienen, fand er eine Strategie, jene Widersprüche zu thematisieren, die eine Kommunikationsindustrie mit sich brachte, die Konsumbefriedigung und menschliche Nähe genau in dem Maß versprach, in dem sie die Anonymisierung und Globalisierung gesellschaftspolitischer und ökonomischer Beziehungen vorantrieb: „Die klobige Urweltlichkeit der Kogler’schen Findungen macht ihre innere Leere erst recht deutlich, indem sie gnadenlos vorführt, wie sich all diese zunächst so handwerklich warm und unbeholfen wirkenden Bildobjekte aus Mustern der Wiederholung, aus einer kühl kalkulierten maschinellen Repetition speisen.“#6# Über die in der Vervielfältigung medialer Bilder angelegte Redundanz und Entwertung von Original und Autorschaft bzw. über deren begriffliche Neubestimmung reflektierte Kogler um 1980 also in originalen Werken mit handwerklicher Sicherheit. Durch die Distanzierung der traditionellen Kohlezeichnungstechnik und der Materialität des Papiers und Kartons von der immateriell-virtuellen Qualität medientechnisch erzeugter Bilder werden – durch eine Art bewusst inszenierter Unzulänglichkeit – die Erfahrung verlorener Zusammenhänge und gesellschaftlicher Entfremdung als reale Phänomene fassbar. Kogler versinnlicht damit den von Flusser beklagten Prozess der Verflüchtigung sinnlicher Fakten: „Ein Charakteristikum der technischen Bilder ist, dass sie sich in ewiger Wiederkehr wiederholen können. Sie sind nicht ‚Originale‘ wie die traditionellen Bilder, sondern ständig reproduzierbare Stereotypen eines Prototyps, der im künstlichen Gedächtnis eines Apparates lagert.“#7#
Kogler verknüpft in diesen Arbeiten aber nicht nur konträre Medien, sondern er schafft mit seinen Grenzgängen zwischen Zeichnung und Malerei, zwischen Bildern und Objekten zunächst analog „verschaltete“ bildnerische Einheit aus Gegensätzen, die später im Digital-Virtuellen ihre Übersetzung und Neuformulierung findet. Die zellenartig-seriellen und modularen Strukturen der Kartonarbeiten nehmen bereits die rhizomatischen und netzwerkartig wuchernden Motivwelten von organoiden und technoiden Röhren- und Labyrinthsystemen vorweg, die später Koglers computeranimierte Raumtapeten und -projektionen bestimmen werden.
Doch bevor virtuelle Räumlichkeit auch virtuell inszeniert wird, wendet Kogler die Bilder auf mechanische Weise ins Räumliche. Dieser Prozess setzt mit einfachen Faltungen und konischen Auskragungen ein, die den Illusionismus der Darstellungen mit dreidimensionaler Räumlichkeit aufladen. Bilder von Wolkenkratzern und Ziegelgebäuden scheinen so reliefartig den Wänden zu entwachsen und sich zu Architekturmodellen zu entwickeln. Bilder tatsächlich jener Realität anzunähern, die sie sonst „nur“ trickreich umschreiben, heißt, eine Koinzidenz zwischen Vorbild und Abbild, zwischen Zeichen und Bezeichnetem anzudeuten, die an Praktiken der visuellen und konkreten Poesie erinnert. Deren zentrales Anliegen bestand darin, Wort- und Begriffsbedeutungen durch bildhafte Visualisierungen von Sprache auf der Schreib- bzw. Bildfläche zu vermitteln und zu hinterfragen. Während in der visuellen Poesie die Wörter gleichsam „tun“, was sie meinen, tendieren bei Kogler die Objekte dazu, als das aufzuscheinen, was sie zugleich abbilden.
Beispielhaft dafür ist neben den Architekturmotiven auch jenes dreidimensionale Rahmenobjekt aus Karton, das aus reliefartig ineinander verwobenen, mit Kohle gezeichneten Figuren besteht und auf den ersten Blick wie ein altmeisterlicher barocker Bilderrahmen aussieht. Das hybride Wesen dieses Kartonobjekts zeigt sich nicht zuletzt in den miteinander verwobenen Figuren. Diese entwerfen einen figurativen Text bzw. eine textähnliche Figuration, die Derridas Begriffe der „Verkettung“ und des „Gewebes“ in Erinnerung rufen und deren unabschließbar fließenden Bedeutungsstrom im Motiv des Rahmens als unendlich in sich zirkulierender Quadratur des Kreises sinnbildlich darzustellen scheinen. Dieser Bilderrahmen erhebt die Rahmenbedingungen der Kunst zu ihrem Inhalt, er konfrontiert den Betrachter mit umgestülpten Verhältnissen. Während die Figuration die Ränder besetzt, kippt das Außen des Bildes, sein räumlicher Kontext, ins Innere und wird damit im doppelten Sinn zum Bildinhalt. So schneidet der Rahmen das Bild nicht aus der Wirklichkeit aus, sondern setzt es im Gegenteil in sie hinein. Er ist nicht das Fenster in eine künstlich-künstlerische Scheinwirklichkeit, sondern das Scharnier, das die Kunst mit der Umgebungsrealität vereint. Die Verkettung der Figuren auf dem Rahmen wird damit zum Verweis für die Verstrickung von Rahmen und Raum, von Kunst und Wirklichkeit, von Text und Kontext.
Der Rahmen quasi als Kogler’sches Rahmenthema findet sich in weiteren frühen figurativen Darstellungen. Er taucht als verzerrter Kreis in Gestalt einer aus der Vogelperspektive gesehenen Tischgesellschaft mit schablonenartigen weißen Figuren auf schwarzem Grund auf und bildet sich auch in einer sequenzartigen Vervielfachung der weißen Ratte ab (ohne Titel, 1981). Der weiße Körper dieses üblicherweise zu medizinischen Experimenten herangezogenen Tieres vermittelt zugleich Ekel und Putzigkeit sowie qualvolles Martyrium und fortschrittliche Überlebensforschung. Diese Ambivalenz prädestiniert die Ratte, neben der Ameise, als Sujet für die Koalition des Konträren als generellen Grundzug von Koglers Ansatz. Wie in einem in einzelne Bildsequenzen zerlegten filmischen Loop „läuft“ das Tier im „Kreis“. Sein zirkulärer, in sich geschlossener Weg und die in der Bildabfolge latent vorhandene Bewegung kehren in den späteren Projektionen unter veränderten medialen Vorzeichen wieder: Nun laufen gefilmte weiße Ratten in labyrinthischen Schleifen computeranimiert über Böden, die man selbst betreten kann. Ihre Bahnen sind präzise gelenkt und dennoch ziellos in sich geschlossen. Sie definieren mit ihrem Lauf nicht nur den Raum als Labyrinth, sondern bestimmen auch das Betrachten sowie die Deutungs- und Orientierungsversuche der Betrachter als im Grunde emsig scheiternde Bemühungen.
Dies frühen Rahmenbilder und -objekte zeigen in ihrer sequenzartigen und ornamentalen Aufreihung der Figuren, in ihren rahmen- und schleifenförmigen Strukturen, in ihren Schwarzweißkontrasten sowie in ihren fluchtenden Perspektiven den Einfluss filmischer Stilmittel der Moderne. Filmemacher wie Sergei Eisenstein (Panzerkreuzer Potemkin, 1925), Dsiga Wertow (Der Mann mit der Kamera, 1929), Wsewolod Pudowkin (Das Ende von St. Petersburg, 1927), Fritz Lang (Metropolis, 1927), Walter Ruttmann (Berlin – Symphonie einer Großstadt, 1927), Friedrich Wilhelm Murnau, (Der letzte Mann, 1924) und Robert Wiene (Das Cabinet des Dr. Caligari, 1919) waren wesentliche Bezugsfiguren für Koglers Interesse an den historischen Zusammenhängen zwischen Urbanität und Mediatisierung, zwischen Gesellschaftspolitik und Massenästhetik. Die Filme dieser Autoren zeigen ein inhaltlich breites Spektrum von esoterisch-mystischer Weltflucht bis hin zu propagandistisch-revolutionärer Aufbruchstimmung. Mit ihren montageartigen, expressiv überhöhten und symbolisch verdichteten Massendarstellungen, mit ihren teilweise perspektivisch verzerrten Kulissenarchitekturen boten solche Filmemacher Bezugsmotive für die künstlerische Auseinandersetzung mit dem aktuellen Mediatisierungsschub innerhalb der neuen Informationsgesellschaften und deren Auswirkungen auf das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Silvia Eiblmayr hat in diesem Zusammenhang auf die „postmoderne Angst“ hingewiesen, die sie in Koglers gemorphten Architekturarbeiten thematisiert sieht, und darin einen Nachhall der „modernen Angst“ expressionistisch orientierter Urbanitäts- und Zivilisationskritik ausgemacht, wie sie die genannten Filmklassiker zum Teil vermitteln.#8# Kulturkritische Töne ortet auch Gilles Deleuze, wenn er auf die Verknüpfung von Architektur und Menschenmassen bei Fritz Lang zu sprechen kommt: „Und wenn der menschliche Körper unmittelbar in solche ‚geometrischen Gruppierungen‘ eingeht, wenn er ein ‚Grundfaktor dieser Architektur‘ ist, dann […] weil jeder Unterschied zwischen Menschlichem und Mechanischem gewichen ist, […] zugunsten des mächtigen nichtorganischen Lebens der Dinge.“#9# Deleuze scheint sich damit wiederum auf den Filmkritiker und -theoretiker Siegfried Kracauer zu beziehen, der bereits in den 1920er-Jahren das Ornament der Masse mit kapitalistischer Rationalisierung in Verbindung brachte: „Volksgemeinschaft und Persönlichkeit vergehen, wenn Kalkulabilität gefordert ist; der Mensch als Massenteilchen allein kann reibungslos an Tabellen emporklettern und Maschinen bedienen. Das gegen Gestaltungsunterschiede indifferente System führt von sich aus zur Verwischung der nationalen Eigenarten und zur Fabrikation von Arbeitermassen, die sich an allen Punkten der Erde gleichmäßig einsetzen lassen.“#10# „Das Massenornament ist der ästhetische Reflex der von dem herrschenden Wirtschaftssystem erstrebten Rationalität.“#11#
Das Ineinander von Architektur und menschlicher Figur, von Einzelnem und Masse, das Kogler bereits im Frühwerk durch geometrisierende Abstraktion verdeutlicht, gründet in solchen historischen Kunst- und Theoriebezügen. Diese Übertragung der Architektur vom behausenden Rahmen des Menschen auf die Gestalt des menschlichen Körpers scheint ein Äquivalent der in den genannten Arbeiten erkennbaren Verschiebung des Rahmens zum Werkmotiv zu sein. Die Anthropomorphisierung des Architektonischen gipfelt in den hausförmigen Darstellungen von Köpfen und Gesichtern als hervorstechendsten Merkmalen menschlicher Individualität und Identität. Doch wiederum gehen diese Motive mit ihrem Gegenteil schwanger, nämlich mit Anonymität und bewusster Entstellung. Es sind zunächst stark vereinfachte, von clownesker Mimik geprägte Mischwesen aus Architektur und menschlichem Antlitz, die als Wandreliefs auch Bild und Skulptur in einem sind. In der Folge geht Kogler dazu über, diese Art des Morphings auch auf die Computertechnologie selbst anzuwenden. Es entstehen kartoffelartige, lemurenhafte Gesichter aus groben Pixelstrukturen, so als ob die Mediatisierung die Individuen sprichwörtlich prägen und zeichnen würde bzw. sich deren Erscheinungsbild aus genau jenen Datenstrukturen ergeben würde, mit denen sich die Informationsgesellschaft tagtäglich selbst füttert. Anhaltspunkte für solche Vergleiche finden sich wiederum in der zeitgenössischen Medientheorie: „Wir haben gar nicht nötig, uns einen Menschen vorzustellen, der unter Hologrammen schreitet und für den es unmöglich ist, zwischen seiner Liebe zu einem anderen Menschen und zu einem programmierten Roboter zu unterscheiden, denn wir selbst sind zum Teil bereits jetzt derartige Menschen.“#12# Die von Flusser beschriebene mentale Entstellung und Verwirrung des Menschen scheint in Koglers gespenstisch verzerrten Physiognomien ein zeitgemäßes Porträt gefunden zu haben, das aber nicht einfach kulturpessimistisch aufgeladen ist, sondern mit ironischem und humorvollem Unterton gegen die perfekten Oberflächen von Medienbildern und -figuren eine Apotheose der Hässlichkeit zelebriert. Die digitale Abstraktion der Kopfform mündet schließlich in Rasterbilder, in deren geometrischem All-over jegliche Individualität erlischt. Wie Suchbilder verlorener Identitäten sind diese Darstellungen zugleich Horror-Vacui-ähnliche Labyrinthe, die den Blick auf die Probe stellen und desorientieren, um so mit ihrer ornamentalen Schönheit auch auf die manipulativen und verführerischen Strategien der neuen Technologien anzuspielen.
Die darin enthaltene Skepsis gegenüber Eindeutigkeiten und der damit einhergehende Hang zu labyrinthisch-ornamentalen Strukturen als Zeichen einer hyperkomplexen Wirklichkeit fügen sich in Koglers Konzept der beschriebenen Hybridisierungen. Eine ihrer aktuellen Ausformungen finden diese Verknüpfungen des Verschiedenen, wenn in bildhaft strukturierte Räume unterschiedliche Bilder gehängt werden. In der Ausstellung des MUMOK steht ein solcher Raum im Zentrum, der als Präsentationsort von Kunstwerken mit diesen zusammen zugleich ein Kunstwerk an sich bildet: Ein netzartiges Liniengespinst scheint dabei die Wandflächen in optische Schwingungen zu versetzen und die Orthogonalität der architektonischen Strukturen aufzuheben. Der Raum verwandelt sich in eine Art allseitiger Collage, in der die Bilder gleichsam schweben. Weil sie unterschiedlichen Werkphasen entstammen, bilden sie untereinander und mit dem Raum ein Szenario der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen als weitere Form der Verkettung.
1 Stephan Berg, „Zwischen Entkörperung und Verkörperung“, in: Stephan Berg, Silvia Eiblmayr, Noëlle Tissier (Hg.), Peter Kogler, Katalog zur Ausstellung im Kunstverein Hannover, in der Galerie im Taxispalais Innsbruck und im Centre Régional d’Art Contemporain Languedoc-Roussillon, Sète, Ostfildern-Ruit 2004, S. 9–13, hier: S. 10
2 Jacques Derrida, Positionen, Wien 1986, S. 66 f.
3 Berg, „Zwischen Entkörperung und Verkörperung“, a. a. O., S. 9
4 Vilém Flusser, Ins Universum der technischen Bilder, Göttingen 1989 (2. Auflage), S. 112
5 Berg, „Zwischen Entkörperung und Verkörperung“, a. a. O., S. 11
6 Ebd., S. 10
7 Vilém Flusser, Lob der Oberflächlichkeit – Für eine Phänomenologie der Medien (geschrieben vermutlich 1983), hg. von Stefan Bollmann und Edith Flusser, Mannheim 1995, S. 56 f.
8 Silvia Eiblmayr, „Form Follows Fear Follows Fun“, in: Berg, Eiblmayr, Tissier (Hg.), Peter Kogler, a. a. O., S. 15–17, hier: S. 15
9 Gilles Deleuze, Das Bewegungsbild – Kino 1 (Originalausgabe 1983), Frankfurt am Main 1997, S. 78 f.
10 Siegfried Kracauer, „Das Ornament der Masse“, in: Das Ornament der Masse – Essays (1920–1931), Frankfurt am Main 1977, S. 50–63, hier: S. 53
11 Ebd., S. 54
12 Flusser, Lob der Oberflächlichkeit, a. a. O., S. 41