Peter Kogler: Installation im Freud Museum

August Ruhs, 2015

Es ist mir eine Freude und eine Ehre, hier und im Hinblick auf eine künstlerische Installation Peter Koglers, die zur Reflexion über einige Aspekte aus dem umfangreichen Beziehungsfeld von Psychoanalyse und Kunst einlädt, sprechen zu dürfen.
Es ist mir eine Ehre, weil ich, einerseits, meine kleine Rede an einem für mich sehr bedeutsamen Ort halte, und andererseits, weil Peter Kogler zu den herausragenden Künstlern unserer Zeit zählt.
Und es ist mir eine Freude, weil mich mit ihm eine langdauernde Freundschaft verbindet, die mir auch einen privilegierten Einblick in die faszinierenden Phasen  seines einfallsreichen kreativen Schaffens geboten hat.
Diese Freundschaft reicht auf eine Zeit in den frühen 1980er Jahren zurück, als Peter Kogler in einer seiner ersten Schmalfilmarbeiten die nervösen Wege einer Ameise auf der eng bedruckten Seite einer Tageszeitung verfolgte und festhielt; als er Kohlestift und Karton als bewährte Ausdrucksmittel mehr und mehr beiseitelegte, um sie durch jene neue Medien zu ersetzen, die unter dem Schlagwort der telematischen Revolution sowohl die Kreativbereiche als auch die Alltagskommunikation zu erobern begonnen hatten; als er also mit einem Commodore 64 sein ersten computergenerierten Bilder schuf und als er anlässlich seines Stipendiats in Paris, wo ich ihn einmal besuchte, an deren Vervollkommnung arbeitete, um von da aus künstlerisch jene fiktiven, öffentlichen und privaten Räume zu erschaffen und auszugestalten, die ihm schließlich zu weitreichender Anerkennung und internationaler Bedeutung verhalfen.
Dabei wurde auch die stets diskret zurückgehaltene künstlerische Ideologie im positiven Sinn des Begriffs deutlicher erkennbar, deren Grundzüge sich allerdings schon in der frühen Ameisenarbeit feststellen lassen:

– Bildende Kunst im Spannungsfeld von Natur, Geist und Technik in Anbetracht permanenter Transformationen und Transgressionen, zu deren Kennzeichnung sich die Revolutionsbegriffe sowohl von Nikolaus Kopernikus als auch von Jacques Lacan gleichermaßen eignen.

– Bildende Kunst als Eroberung und Besiedelung jener Räume, die als Zwischenräume, als relationale Räume und als fundamentale Strukturen sowohl an die Grenzen von Darstellbarkeit und Sagbarkeit rühren als auch deren Existenz ermöglichen.

– Bildende Kunst als Anschauungsbemühung, aber auch als Teilhabe an jenen  Kommunikationssystemen, welche die sozialen Bande menschlicher und außermenschlicher Gesellschaften gewährleisten und regeln und dabei auch jene jenseits von Logo- und Phonozentrismus  liegende „Urschrift“ ins Bewusstsein rücken, wie sie uns etwa in der „Grammatologie“ Jacques Derridas nahegelegt werden.

Freizulegen sind protodiskursive Strukturen jenseits jeder Dialektik, das digitale Oszillieren von Polaritäten, das erbarmungsloses Kippen von Null in Eins und vice versa, ein kompromissloses Fort oder Da, die Gleichursprünglichkeit von Schwarz und Weiß. Kein Wunder, wenn sich Koglers bildnerisches Schriftwerk und seine skripturalen Skulpturen und Baukörper so oft auf die Filmarchitektur des deutschen Expressionismus verweist, der in seiner dunklen Vorahnung einer ebenso dunklen geschichtlichen Entwicklung das Heraufkommen einer verhängnisvollen Gleichschaltung des sozialen Lebens skizziert und damit zu einer zoologisch-politischen Metaphorik einlädt, wie wir sie im Werk Koglers stets wiederkehrend vorfinden: insistierende Buchstaben eines beängstigenden und grausamen Alphabets, hier die schwarze Ameise auf weißem Grund, dort die weiße Ratte auf schwarzem Grund. Unter diesen Prämissen und in Anbetracht eines künstlerischen Schaffens, das sich nur vordergründig als harmlos und dekorativ darstellt, war es nicht verwunderlich, dass Brigitte Huck und ich sehr rasch an Peter Kogler dachten, als wir 2001 eine Ausstellung anlässlich des 100. Geburtsjahres von Jacques Lacan unter dem Titel „Diesseits und jenseits des Traums“ kuratierten und an der Zusammenstellung der teilnehmenden Künstler arbeiteten. Diese Ausstellung fand zum einen Teil in der Wiener Charim-Galerie, zum anderen Teil als Teil „Jenseits des Traums“ gerade hier im Sigmund-Freud-Museum statt, wobei es um jene Orte einer psychoanalytischen Topologie ging, die unter anderem dadurch bestimmt sind, was Freud als „Nabel des Traums“ bezeichnete. An einem bestimmten Punkt entzieht sich der Traum – aber auch das Leben – jeder Interpretation, womit sich der Blick auf einen Abgrund des Existenziellen eröffnet, der als Unbewusstes im strengsten Sinn des Begriffs jeder Repräsentation, jeder Anschauung und jeder Erinnerung trotzt. Die Computeranimation eines Röhrenwerks, die Peter Kogler für diese Ausstellung zur Verfügung stellte, führte in einer atemberaubenden Auseinandersetzung mit den Figuren von Loch, Torus und Kluft an die Grenzen dieses Urschlundes, in dem die Welt der Zeichen und Objekte in das Universum eines schattenhaften Dings im unvermittelten Realen abtauchen. Hier, an diesem Ort, stellt sich mit mehr Vehemenz als anderswo die Frage, was wohl Freud gesagt hätte, und was in Bezug auf unseren heute verhandelten Sachverhalt die Beziehung Freuds zur bildenden Kunst und insbesondere zur Kunst seiner Zeit betreffen würde. Wie wir wissen, war diese Beziehung nicht unproblematisch und sie war sehr eingeschränkt, was Anna Freud auch einmal in der Feststellung zusammengefasst hat: In der Sammlung meines Vaters befindet sich eigentlich nichts, was nach der Renaissance entstanden ist. Diese Nicht-Wahrnehmung des Zeitgenössischen, die Freud sowohl als Kunstliebhaber als auch als Kunsttheoretiker an den Tag legte, war aber größtenteils weniger einer Ignoranz als einem Ignorieren geschuldet, denn schließlich wollte ja Freud den Mythos eines lonesome hero kultivieren. Andererseits aber konnte er, der stets auf der Suche nach Inhalten war, mit einer Kunst nur wenig anfangen, die sich hauptsächlich dem Sinnlichen oder aber dem Formalen verpflichtete, so dass er sich zur bekannten Äußerung gegenüber bestimmten Künstlern veranlasst sah: „Der Sinn bedeutet diesen Männern nur wenig; sie kümmern sich nur um Linioe, Form, Übereinstimmung der Umrisse. Sie frönen dem Lustprinzip.“ Und als er mit zwei prominenten Vertretern des Surrealismus, der ihn zu seinem Schutzpatron erkoren hatte, zusammentraf, fand er den einen, Salvador Dali, zwar sympathisch, den anderen, André Breton aber abstoßend, wobei er zur Kunstrichtung insgesamt bereits auf Distanz gegangen war. In diesem Sinn aber die Frage zu beantworten, was Freud hier und jetzt sagen würde, erscheint mir allerdings als unangebracht und letztlich müßig, da sie nicht beantwortbar ist und nur von schlechter Geschichtsauffassung geprägt wäre. Vielleicht wäre der heutige Kontext ein anderer und vielleicht würde Freud in dieser Installation Peter Koglers einen bestimmten Sinn erahnen, der sich auf das bezieht, was zu sehen ist: die relativ spärliche und beinahe altmodisch wirkende Beleuchtung eines durch und durch gerasterten Raumes.

Dürfen wir in Anbetracht der feinen Ironiebegabung Peter Koglers und seiner Zuneigung zum Werk des französischen Revolutionsarchitekten und Aufklärers Étienne –Louis Boullées als Anspielung auf ein enlightenment betrachten, in welchem sich das Zusammentreffen zweier Aufklärungsbegriffe und ihrer Dispositive inszeniert? Somit einerseits jene altehrwürdige Aufklärung, welche die Autonomie und Mündigkeit der Menschen im Auge hat und der sich auch die Psychoanalyse verpflichtet fühlt. Und andererseits jene zweite Aufklärung, durch die sich auch unsere Gegenwart weitgehend bestimmt und welche die erste subvertiert und pervertiert: Aufklärung im militärisch-strategischen Sinn, welche an der Durchleuchtung der Welt und ihrer Bürger im Sinne einer Überwachungs- und Disziplinierungsgesellschaft interessiert ist. Würde mich jemand fragen, welchen Titel ich privat und für mich dieser Installation geben würde, würde ich vielleicht sagen:
„300 Watt Aufklärung.“