War die Inszenierung des Werkes von Peter Kogler auf der documenta 1992 nun ein Ereignis oder eine Fehlleistung? Gleich im Entrée zum Friedericianum befand sich der Besucher in einem rundum tapezierten Raum, aus dessen Innerem ständig Katastrophales suggerierende Schreie dröhnten. Tapeten – üblicherweise Wandschmuck – identifiziert man bei einem Ereignis wie diesem deutlich als Kunst. Nach anfänglicher Irritation durch das schwarz-weiße Muster, gab sich dies als Ameisenstruktur zu erkennen. Angeordnet im labyrinthischen Zug krochen sie über die Außenwände jenes Raumes, in dessen Innerem Bruce Naumanns Video-Installation errichtet war.
Streitpunkt war gelegentlich die Verbindung zu Kogler und vice versa. Wie auch immer, ich selbst fand durch diese Konstellation in der Betrachtung Peter Koglers, dessen Werk wir erstmals 1988 in der Ausstellung „Brennpunkt Wien“ zeigten, den Anstoß, der nun zu der umfassenden Vorstellung seiner seither entstandenen Räume führt. Galt mir zuvor die Entstehungsgeschichte von Koglers Arbeiten – die Generierung der All-Over-Bildwelt durch den Computer – als wesentlicher Faktor bei der Wahrnehmung des Werkes, welches schon zum damaligen Zeitpunkt entschieden den Ausbruch aus der Bildfläche suchte, so rückte die Vorstellung von der existentiellen Komponente als Fundament der Auseinandersetzung mit dem Raum ins Zentrum des Bewußtseins. Die Ausnutzung des technologischen Hilfsmittels, des Computers, gewinnt unter diesem Gesichtspunkt erst ihre vielschichtige Relevanz. Koglers Raumvision entfaltet sich als doppelbödige Erfahrung von Bildraum und Erlebnisraum. In kaum einem Werk wird die Schnittstelle von Bildgenerator und sozialem Manipulator im und über den Computer derart hintergründig ausgelotet. Künstlerische und existentielle Ausdrucksform greifen ineinander. Die Konfrontation von Bruce Naumann und Peter Kogler hat diese Wahrnehmung auf entscheidende Weise befördert.
So betrachtet boten sich hier viele Ansätze, um sich Peter Koglers Werk zu nähern. Davon können im folgenden nur einige annähernd erfaßt werden. Am deutlichsten ist jener, der auch in der genannten Begegnung auf der documenta seine intensivste Wirkung entfalten konnte, gerade ob der Konfrontation, ja des nachgerade schmerzlichen Konfliktes, der aus dieser erwuchs und wohl zur Auseinandersetzung führen mußte.
Anzumerken an vorderster Stelle ist die physische Erlebnisstruktur, die Koglers Arbeit provoziert, insofern als sein Werk eben so normal zu nutzen ist wie jedweder Raum, in dem sich Menschen gewollt oder ungewollt bewegen. Mit diesem Werk umgehen, heißt in aller Regel, im Werk sein, wo er Räume mit seinen Wandarbeiten bedeckt. Oder es heißt: durch Koglers Werk durchgehen, dort, wo Stoffe als Raumteiler oder Türvorhänge plaziert sind. Wäre die Nutzung der letztgenannten Werkgruppe noch am ehesten auf das Davor zu reduzieren, treibt doch die menschliche Neugier dazu, das Dahinter zu erfahren, was logischerweise einer Durchbrechung der Schwelle, mithin der deutlichsten Interaktion zwischen Werk und Betrachter gleichkommt. Der derart physisch in Gang gesetzte Prozeß wird in der Reibung zwischen einem ersten naheliegenden Erleben des Werkes als ornamentaler Struktur, wie sie für tapezierte Räume gewöhnlich ist, und einer Umkehrung der Verführung in Erregung ob des provokanten Motivs gesteigert. Wirkung oder Richtung dieser Steigerung hängen von der Empfindungsskala des wahrnehmenden Subjekts und seiner je subjektiven Wahrnehmungsgeschichte ab. Die Module der Strukturen verweisen mehrheitlich auf Wirklichkeitsbereiche, die so oder so „vorbelastet“ sind. Ameisen als Topos sozialen Verhaltens und zugleich als Erinnerung an lästige Störenfriede in der unmittelbaren physischen Begegnung mit dem Menschen; das Hirn, in unserer Zivilisationsgeschichte zum eigentlichen Träger der menschlichen Überlegenheit deklariertes Organ und doch in seiner materiellen Erscheinung von zwiespältiger Ausstrahlung für das wahrnehmende Empfinden; die Röhren als nützliche Strukturen und alptraumhafte gesellschaftliche Bilder und so weiter…
Zum Focus der konzeptuellen wie der emotionalen Energie wird die schillernde Kultur-Geschichte des Ornaments zwischen seinem Ursprung als Träger kultischer Botschaften und seiner Gegenwart als purem Dekor. Koglers Räume sind Produkte von struktureller Logik. Sie gehen aus von dem im Motiv gebündelten Potential an Deutbarem, um dieses unter Einsatz abstrahierender, formal neutralisierender Strategien in labyrinthische Grundstrukturen, vermeintlich chaotisch verlaufende Bahnen oder dichte Anreihung und endlose Repetitionen zu überführen. Das Maß für die Ausdehnung aller Strukturen ist der je gegebene Raum, der Anfang und Ende bestimmt, ganz so wie es im angewandten Bereich für vergleichbare Tapeten oder Stoffe/Raumteiler „normal“ ist.
Diese Logik wiederum folgt dem Instrument, welches seit Jahren zum Arbeitswerkzeug des Künstlers avanciert ist, dem Computer. Besteht doch dessen wesentliche ‘Leistung’ darin, die gesamte erfaßbare und noch zu erfassende Wirklichkeit auf zwei Zeichen zu reduzieren. Vereinfachung gilt hier als entscheidendes Element der Wirklichkeitserfassung oder dessen, was noch als Wirklichkeit definiert wird. Und gleich so, wie die Anwender dieser Logik sich in den seltensten Fällen Gedanken machen, was dies für ihre subjektive Wirklichkeitswahrnehmung und deren unendliche Potenzierung in den Vorstellungen von Wirklichkeit bei jedem einzelnen anderen Subjekt bedeutet, gleich so steht das Werk von Kogler materiell betrachtet als kühle Demonstration eines aufs Einfachste reduzierten Systems der Produzierbarkeit und Anwendung ausgewählter Gestaltungsmodule zur Verfügung.
Die Liste der „Selbstverständlichkeiten“ setzt sich fort mit der einfachen Tatsache, daß – einmal vorgegeben in der technologischen Maschine, die den Menschen eines Tages ersetzen könnte, – Koglers Werk von jedem anderen ausgeführt werden kann. Wer den Code kennt, könnte sich an die Arbeit machen von der Produktion bis zur Füllung der Räume. Nichts vom Genie, das sich dem Zugriff des Alltäglichen entzieht in die weltgeisternde Sphäre jenseits der Ameisen, die ihrem zwanghaften Handwerk nachgehen. Das Künstlergenie wäre das erste der göttlichen Ebenbilder, das – einmal am Werk gewesen – sich auflösen könnte ins Nichts, um der Maschine endgültig seinen Platz abzugeben. Nur, daß Koglers Werk, selbst dort, wo er in den Anfängen Menschenantlitze mittels des Computers „zeugte“, nichts mit derart waberndem Humanitätspathos und somit auch nichts mit dem im 19. Jahrhundert gezeugten quasi-mythischen Wettstreit zwischen dem göttlichen und dem künstlerischen Schöpfergeist gemein hat.
Die Ausstrahlung dieses Werkes ist von befremdlicher Sachlichkeit für all diejenigen, die derartigen Ersatzmythen nachtrauern oder zwanghaft danach streben, sie wiederzubeleben. Nicht einmal die für unser Jahrhundert so dauerhafte Mythisierung der Menschenmaschine „quält“ sich durch Koglers sachliche Räume – aus objektiver Warte jedenfalls nicht. Was dem Betrachter im Raum begegnet, sind eben Stoffe und Tapeten mit Mustern – nicht mehr und nicht weniger.
Als es in „Brennpunkt Wien“ um die Vorstellung künstlerischer Ausdrucksformen ging, wie sie sich in Wien, der „lokalen Metropole im globalen Dorf“ aus verzweigten künstlerischen Fragestellungen im Medienzeitalter entwickelten, galt zugleich die Aufmerksamkeit dieser Metropole selbst. Der Blick richtete sich auf Wien als Schnittstelle zwischen Orient und Okzident, auf die Metropole eines Reiches, in dem die Sonne nicht unterging, die Europa vor den Türken bewahrte, aber eben nicht vor deren kulturellen Errungenschaften in einer Kultur des Ornaments, das an keiner Stelle Europas derartig blühte und zur Allover-Dekoration von Alltag und Hochkultur werden konnte. Ins Blickfeld geriet Wien als Ort, an dem Adolph Loos schließlich dem Ornament in seiner ausgehöhlten Funktion den Kampf ansagte, mußte es wohl. Wien erwies sich als Zentrum einer Auseinandersetzung über die Fläche, den Raum, das Ornament im Medienzeitalter. Peter Koglers Lösung zählt zu den radikalsten, nicht nur in Wien, sondern im internationalen Kontext. Keine Maschine ist dem Ornament derart verbunden wie der Computer. Mittels seiner ureigensten Gesetzmäßigkeit baut er alle Zeichen aus nur einem „Modul“, der Linie. Die Linie und der Kreis, Zeichen für Impuls und kein Impuls, implizieren das Energiepotential zur totalen Erfassung von Wirklichkeit. Sein Produkt ist das totale Ornament, welches nach dem Verschwinden religiöser Welterklärung und der ihr eigenen Verdichtung in ornamentalen Kulturen deren Platz einnimmt. Seine Anwender könnten sich an die Stelle jener Priester setzen, die einst über das Ornament und seine dem Überirdischen verpflichtete „Anwendung“ wachten. Der industrielle, der technologische Schöpfer produziert seine industriellen, technologischen Simulakren zur Verfügung für die anwesenden Konsumenten, seien diese nur Figuren im weitverzweigten Netzwerk der Hirnintelligenzien oder manipulierbare Größen im Netzwerk der konsumierenden Ameisen.
Koglers Räume sind somit die Orte, an denen sich die Möglichkeit eines neuen Ornamentierens entfalten im Zustand des quasi-kosmischen Entwurfs. Sie könnten erinnern an „Tempel“, in denen die religiöse Botschaft sich in der ornamentalen Besetzung des Raumes entäußerte und den Respekt der Eingeweihten wie Nicht-Eingeweihten einforderte.
„Das österreichische Simulacrum hat in der Kunst immer etwas mit der Schaffung von individuellen Welten und universellen Lebensformen zu tun, die sich nach außen eng abgrenzen und sich nach innen in den Mikrokosmos ausdehnen und verflechten, gleichsam wie die Endlosornamente der romanischen irischen Buchmalerei“, schreibt Markus Brüderlin 1988, um für Koglers Arbeit zum damaligen Zeitpunkt zu folgern, daß „Peter Kogler sich mit seinen digitalen Strategien am radikalsten vom österreichischen Kunsttopos gelöst und am weitesten in den Kontext der internationalen Simulationsästhetik vorgewagt hat.“ Was nun vor 10 Jahren an Koglers Werk zu solchen Spekulationen herausforderte, war seine Auseinandersetzung mit dem computergenerierten Gesicht oder der ornamentalen Maske – und deutlicher noch mit der Figur des künstlichen TV-Menschen/Unterhalters Max Headroom. Das Gesicht ist aus Koglers Werk verschwunden, im Vordergrund steht das Gesehene; nur, daß dieses mit dem Gesicht von damals identisch ist – in der Konzeption, in der Wahrnehmung und vermutlich auch in der nicht fixierbaren Wirkung auf die Wahrnehmung der im Raum befindlichen Menschen. Deren Reaktion schwankt zwischen der Reflexion tiefer sinnträchtiger Bedeutung und lapidarer Aufnahme des Sichtbaren. Mochte das Gesicht noch als gestaltetes Allover erscheinen, so sind Koglers spätere Systeme allenfalls in ihrer materiellen Existenz begrenzt oder nach den Gegebenheiten des Raumes geformt, tatsächlich aber All-Over im radikalsten Sinne des Wortes, global wie ihr Erzeuger und ungreifbar wie ihr Produzent, die technologische Maschine. Die räumliche Situation ist real und non-real in einem. Es ist der Ort als Produkt einer künstlichen Schöpfung, welche der Tradition der Wandmalerei von ihren kultischen Anfängen bis zu ihrer konzeptuellen Auflösung folgt und diese Tradition überschreitet aus der Möglichkeit der Globalisierung aller Daten mittels der Zeichen aus der Maschine. Verständlicher waren die Codes noch nie, gleich so wie die ihnen korrespondierende Wirklichkeit auch noch nie verständlicher war. Dies läßt sich an Koglers Motivwahl auf ebenso einleuchtende wie schließlich doch sich jedem eindimensionalen Zugriff entziehenden Weise „belegen“.
Seit Beginn all jener wissenschaftlich-technologischen Wettläufe, die unsere Jetztzeit ebenso wie unsere potentielle Zukunft bestimmen, haben Röhren (industrielle Zivilisation), Ameisen (soziologische Chiffren für das Gemeinwesen Mensch), menschliche Organe, z. B. das Hirn (Schaltstelle des Denkens) die Wirklichkeitserfassungsskala besetzt.
Impliziert ist dieser Skala jedwedes Empfindungspotential zwischen Euphorie und Schrecken ob ihrer Deutbarkeit als Barometer für den Fortschritt oder den Untergang. Nichts einfacher und geläufiger, als die potentiellen Sieger über das Abendland mit Ameisen zu vergleichen; entspricht doch nach unserem arroganten Dafürhalten das Verhalten in Gesellschaftssystemen, die sich jedenfalls wirtschaftlich dem unseren überlegen zeigen könnten, jenem intelligenten Getier, welches für eines eben nicht taugt, für den genialischen abendländischen Individualisten. An dem wiederum kann das globale Netzwerk kein Interesse haben, da es letztlich an dessen Stelle zu treten bestrebt sein könnte, wie die einen hoffen und die anderen befürchten. Koglers Ameise, die das Deckblatt der Zeitschrift ART zierte war sinnigerweise schwarz auf rotem Grund. Die Farbenkonstellation, die letztlich den österreichischen Nationalfarben folgte, sendete ihre „Signale“ eben auch in die oben angedeutete Richtung.
Es ist nicht ohne Brisanz, sich unter zeitweiliger Ausgrenzung der bislang vorliegenden Variationsbreite an „verfügbaren“ ornamentalen Modulen, auf die Dualität zweier Motive im Werk von Peter Kogler zu konzentrieren. Die so erzeugte Polarität von Ameise und Hirn ließe sich dann reflektieren unter dem Gesichtspunkt der Polarität von sozialem System und leitender Intelligenz. Beide sind verknüpft über das Werkzeug Computer. Wesentlicher aber erschiene eine Verknüpfung in der Zukunftsvision von einer technologisch gesteuerten Gesellschaft, in der die soziale Struktur der Ameisengesellschaft und die intelligenten Strukturen der Steuerung letztlich in eins fallen könnten.
Der so vorgestellte kulturelle Konflikt mit der soziokulturellen Vorstellungstradition unseres abendländischen Zivilisationsgefüges berührt in seinen Extremformen wiederum die aus der Individualitätsvorstellung geborene Genialisierung des Künstlers, die aus Koglers Werk aufs entschiedenste verbannt ist. Das gesellschaftliche System der westlichen Welt fühlt sich einem Individuumsdenken verpflichtet, demgegenüber das andere jedweder Art – sinnbildlich durch die Ameisengesellschaft vorgeführt – Bedrohung darstellt. Faktisch aber ist das abendländische Individuum nicht naturgegeben sondern historisch gewachsen und seine „Überlegenheit“ – nicht nur aus technologisch-wirtschaftlicher Perspektive – ebenso fragwürdig wie alle anderen Vorstellungen von der Qualität des menschlichen Wesens im sozialen Gefüge. Die Alptraumvisionen von der schönen neuen Welt sind in dieser Hinsicht durchaus als Symptom für den Konflikt zwischen Überlegenheitsgefühl und Angst vor Bedrohung zu betrachten.
Das Hirn, heute mehr denn je Forschungsobjekt zur Bestimmung eines evolutionären status quo in der Einschätzung der Entwicklung der Spezies Mensch, erweist sich ob seiner materiellen Struktur im Bild der Ameisengesellschaft verwandt. Windungen von bemerkenswerter Regelmäßigkeit und ornamentaler Schönheit erzeugen nicht minder Staunen als das geordnete Treiben der Ameisengesellschaft. Im Raum der von Peter Kogler mittels des Computers systematisierten Motive, insbesondere im Anblick der durch das All-Over-System erzeugten Totalität, mag zunächst der Schrecken mit Blick auf die Zukunft der technologischen Machbarkeit überwiegen. Doch wird „hinter“ dergestaltiger Radikalität die eigentliche Bedeutung des Werkes offensichtlich. Der Computer dient als Hilfsmittel zur Erarbeitung dessen, was dem Künstler und dem Betrachter als Rohstoff an Motiven gleichermaßen zur eigenen Weiterverwertung aus je eigenem Antrieb verfügbar ist..
In der Bonner Dependance des Deutschen Museums installierte Peter Kogler einen Hirnraum. Umgeben von technischen Geräten, die stolz für den menschlichen Erfindergeist posieren, und in unmittelbarer Nachbarschaft zu eben dem technologischen Hirn, von dem der neugierige Nutzer Daten über sein „eigenes“ Organ abrufen kann, besetzte Kogler einen Raum in der Größe einer Abstellkammer dergestalt mit einem Vorhang, daß dieser zugleich Raumwandkonstruktion, Ummantelung und Absperrung nach draußen darstellt. Eine Glühbirne – exakt im Zentrum des Raumes – erleuchtet diesen nur spärlich. Joseph Beuys’ Bleiraum, der „Schmerz RAUM“ von 1983 war von vergleichbarer Qualität hinsichtlich der Erzeugung einer irritierenden Empfindung zwischen Claustrophobie und meditativer Ruhe. Koglers Raum betritt man durch einen Schlitz in der Art, wie es Türvorhängen zukommt, die einen Raum vom anderen abtrennen, ohne daß eine wirkliche Grenze von der Art fester Türen bestimmt ist. Innen und außen sind so auf leichtere Weise zu überwinden. Drinnen ist man in seinem Hirn, in der Schaltzentrale menschlichen Geistes – mit sich alleine, auf sich selbst verwiesen. Nichts Heiteres ist an diesem Raum. Die schwarzweißen Strukturen auf dem groben Stoff, der einen intensiven textilen Geruch ausstrahlt, erzeugen widerstreitende Empfindungen, worunter die oben genannten sicher die drängendsten sind. Entscheidender noch wirkte eine an diesem Ort erzeugte gedankliche Herausforderung, die in nichts durch das Bedienen eines Computers zu ersetzen ist, bei allen abfragbaren Daten draußen. Zu reden ist von der physischen Erfahrung des Auf-sich-selbst-gestellt-seins, deren psychisches Pendant zu der Erkenntnis oder doch Ahnung führen mag, daß das Abfragen von Sinn und Bedeutung einzig dem eigenen intuitiven oder gedanklichen Wahrnehmen anvertraut ist. Der Computer ist die neutrale Maschine vor der Tür, das Bild des Hirns ist die materielle Umgebung, das An-Nehmen/Wahrnehmen obliegt dem „Nutzer“.
Die seit den Anfängen in Koglers Werk entscheidende Auseinandersetzung mit dem Ort – der menschlichen Wahrnehmung – über die Erzeugung von All-Over-Strukturen, welche für jede Gesellschaft im Zustand der globalen Forschungs-Produktions-Konsum- und Mitteilungs-Vernetzung verständlich erscheinen und somit verbindend, nimmt ihre spezifische Richtung durch die Transformation des Raumes zum Ort der Begegnung für den je subjektiver Wahrnehmung folgenden Betrachter. Adressat ist das in aller Regel vom Wunsch nach Betrachtung bestimmte Subjekt als Prototyp der Wahrnehmung. Die über Jahre praktizierte Wendung der Arbeit zur zunehmenden All-Over-Besetzung von Räumen mit Strukturen/Motiven, die ob ihrer inhaltlichen wie formalen Normalität irritieren, verwandelt die Motive letztlich in symptomatische Bilder für den existentiellen Zustand des Menschen in seinen sozialen Kontexten. Ihr Potential schwankt zwischen ornamentaler Beruhigung und der schwindelerregenden Auswirkung labyrinthischer Verwirrung. In neueren Arbeiten gewinnt das Prozedere jenen Grad an Neutralität, bei der die deutbaren Motive zurücktreten hinter chaotischen Montagen all jener den Innen- und Außenraum besetzenden Bilderfetzen, die hier und da, jetzt und jederzeit im Alltag unser physisches Aufnahmeorgan, das Auge, treffen. Was das Bewußte oder Unterbewußte mit diesem Bildfetzenmischmasch anfangen könnte, steht im Alltag nicht in Frage. Koglers Werk simuliert vergleichbare Neutralität oder Indifferenz. Im Computer aus Bruchstücken verarbeitet zu den Raum all-over besetzenden „ausgewogenen“ Strukturen – ohne Wertung von Zentren, Präferenzen, ohne wie auch immer geartete akzentuierende Auswahl transformiert die „Tapete“, das „Dekor“ den architektonischen Raum zum potentiellen Bild von einer all-over herrschenden Bildergesellschaft. Diese mag sich der Sortierung entziehen, um der Flut Herr werden zu können, oder sie mag sie genießen, da Bilder ohne Bedeutung sich zusammensetzen lassen zu einem Ornament der Massen, welches sich in den Hirnen ebenso niederläßt wie vom Künstler demonstriert – im Raum. Das labyrinthische Prinzip, welches für Chaos und Ordnung in einem steht, bestimmt nicht mehr die sichtbare Struktur. Es bestimmt gleichwohl die geistig-ästhetische Substanz des Werkes. In der Gestaltung des architektonischen Raumes materialisiert sich die geistige Erfahrung von Ambivalenz, Offenheit und substantieller Unschärfe. Claustrophobie entsteht dort, wo der Ausgang nicht mehr zu finden ist, was zu erreichen schließlich dem Betrachter selbst überlassen bleibt.
Koglers Werk entzieht sich jeder Wertung. Es ist eine der radikalsten Formen neuzeitlicher Malerei. Sie impliziert einerseits die ebenso verführerischen wie irritierenden Konsequenzen totaler Bedeutungslosigkeit als Augenweide über das Dekor. Sie speichert andererseits über die – und damit zugleich in der – Überflutung die Energie des ursprünglichen Ornamentes. Raumgreifend hergestellt aus den ebenso bekannten wie letztlich bedeutungsarmen Rohstoffen des Alltags, in allen Etappen Produkt durchschaubarer Prozesse aus der inzwischen alltäglichsten aller Maschinen, zielt das Werk – wenn auf Überwältigung, dann auf eine solche auf Zeit am Ort, in den sich der Betrachter in der Regel freiwillig begibt, um sich der höchst ambivalenten Ausstrahlung auszusetzen.
So, wie der Betrachter den Raum verläßt, um an einen anderen Ort zu gehen, um anders zu reagieren, so verläßt das Werk den Raum um andernorts unter anderen Bedingungen wieder zu entstehen. Im Computer ist gespeichert, was den Speicher des individuellen Hirns besetzt. Wenn das Licht ausgeht, ist nichts im Computer, im Raum und möglicherweise auch nichts im Hirn. Was der Strom für die Maschine, ist der Denkanstoß für das Hirn. Das Bild, der Raum, wird im eigentlichen, im unmittelbaren wie im übertragenen Sinne zur Durchgangsstation der Deutbarkeiten jenseits von Definitionen, der Machbarkeiten jenseits von Ergebnissen, zum Ort, an dem Wahrnehmung sich auf Dekor richtet oder auf Ornamente. Die Maschine reproduziert nur das, was ihr Speicher enthält, und immer gleich. Das Hirn könnte das Gespeicherte variieren. Ausgang offen – in Koglers Werk ist jedenfalls dies sicher.